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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Schüler abholen. Sie sind gerade angekommen.« Er hielt inne, schaute von mir zu meiner Zeichnung und wieder zurück. »Der Stutz ist fahrtüchtig, nehme ich an?«
    »Ja, Wrieto-San«, sagte ich und rappelte mich erneut von meinem Stuhl hoch, um eine leichte Verbeugung zu machen. »Es ist uns gelungen, die Stelle vorne am Kotflügel zu reparieren, wo, äh ... und den Reifen auch -«
    Das Auto - Wrieto-San hatte nie aufgehört, es zu kritisieren - hatte im Laufe des vergangenen Jahres einiges aushalten müssen, und der sportliche Tourenwagen, den ich mir beim Autohändler ausgesucht hatte, war zu einem lädierten, klapprigen Farmwagen verkommen. Die Spur der Vorderräder war nicht richtig eingestellt, die Reifen waren so oft geflickt, dass sie wie Patchwork aussahen, und die Karosserie schien allmählich eine völlig andere Form anzunehmen. Außerdem war der Wagen nicht mehr höllenschwarz und kanariengelb lackiert, sondern durchgehend ziegelrot. Ziegelrot war Wrieto-Sans Totemfarbe, und er bestand darauf, dass all seine Fahrzeuge - alle Fahrzeuge in Taliesin, ob sie ihm gehörten oder nicht - in diesem Farbton erstrahlten. Ein Mann von einer Tankstelle in Madison hatte das netterweise für mich erledigt - auf meine Kosten und zu Wrieto-Sans großer Zufriedenheit.
    Er hantierte bereits mit seinem Radiergummi und nahm grundlegende Veränderungen an der Zeichnung vor, die mich den gesamten Vormittag gekostet hatte. Er hob kaum den Blick. »Es sind zwei. Greiner und Hartnett, Frauen.«
    Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte, und wollte mir keine falschen Hoffnungen machen. Ich war nicht unbedingt schüchtern - »reserviert« ist das Wort, das ich gewählt hätte -, aber es war praktisch hundertprozentig sicher, dass die beiden (Greiner und Hartnett, Frauen) weiß sein würden, so wie fast jeder im lilienweißen Staat Wisconsin. Wobei Wrieto-San durchaus einen internationalen Kreis um sich geschart hatte - die angestellten Zeichner, deren Nachfolger wir waren, hatten aus Japan, Polen, der Schweiz und der Tschechoslowakei gestammt, und einer der anderen Schüler, Yen Liang, war Chinese, aber im übrigen bestand die Fellowship nur aus Amerikanern. Und diese beiden Mädchen waren Amerikanerinnen. Amerikanerinnen rührten normalerweise nicht an das Tabu der Rassenmischung. Das wusste ich. Das wussten wir alle. Was blieb mir also anderes übrig, als reserviert zu sein?
    Dummerweise regnete es. In Strömen. Mit offenem Verdeck hätte ich im Bearcat sicher mehr Eindruck schinden können, doch so würden wir uns in das dampfige Wageninnere zwängen müssen, das - wiederum dummerweise - roch, als hätten die Hühner darin geschlafen, und vielleicht hatten sie das ja auch. Hinzu kam das Problem der vorderen Zufahrt: Ihr durchlässiger Belag verwandelte sich bei jedem Regen - so auch jetzt - in einen Amazonas-Sumpf. Zweimal sanken die Räder bis zu den Achsen ein, und ich musste zum Haus zurückgehen und eine Schaufel holen, um sie auszugraben. Als ich endlich die Straße erreichte, waren meine Schuhe keine Schuhe mehr, sondern glitschige, glänzende Skulpturen aus vielfarbigem Schlamm, meine Jacke war durchnässt, und die Aufschläge meiner Hose waren so schlaff wie das Fell zweier frisch gehäuteter Eichhörnchen. Ich mühte mich mit der Kupplung ab, fuhr durch Schlaglöcher, Pfützen und Lachen und hielt schließlich, eine gute Stunde nachdem ich den Zeichenraum verlassen hatte, vor dem Bahnhof an.
    Durch den peitschenden Regen und die beschlagene Windschutzscheibe konnte ich vage zwei Gestalten ausmachen, die unter dem Dachvorsprung des Bahnhofsgebäudes auf einer Bank kauerten. Weibliche Gestalten. Blusen, Hüte, die Wölbung einer weiblichen Wade unter einer Rockfalte. Neben ihnen schattenhafte Päckchen, Hutschachteln, pralle Koffer - und ein Überseekoffer von der Größe eines Konzertflügels. Keine von beiden regte sich. Ich schaltete den Motor ab und trat ganz vorsichtig auf die Straße, auf der verschlungene Rinnsale schwärzlichbraunen Wassers dahinflossen. Der trommelnde Regen drückte mir den Hut auf den Kopf, während sich zugleich die äußere Schicht Matsch von meinen Schuhen löste und in zwei schwarzen, sich langsam auflösenden Bogen die Straße hinuntergespült wurde.
    »Hallo!« rief ich, watete durch den Rinnstein und sprang die Stufen hinauf, strahlend wie ein professioneller Kundenbegrüßer in einem Kaufhaus in der Ginza. »Willkommen in Spring Green!« Ich war plötzlich von einem Übermaß an

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