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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Militaristen gewesen sein muss, als sie sich angesichts der Niederlage mit ihren Schwertern den Bauch aufschlitzten. Entlassen? Aus Taliesin verstoßen? Ich hatte miterlebt, wie andere wegen irgendwelcher Regelverletzungen in Ungnade gefallen und fortgeschickt worden waren, aber bei mir selbst konnte ich mir das nicht vorstellen. Noch nicht.
    Nicht jetzt.
    Ich verbeugte mich. Verbeugte mich so tief, dass ich den Boden hätte berühren können. Und dann hörte ich mich mit einem ersticktem Flüstern sagen: »Wrieto-San, als einer, der sich der hohen Ideale von Taliesin als nicht würdig erwiesen hat, füge ich mich Ihrem Urteil.« Mein Atem ging gepresst und heftig. »Aber dürfte ich Ihnen vielleicht noch eine Frage zum Haus der Robies stellen, bevor ich gehe? Ich habe - und meine Landsleute übrigens auch, wir haben diesen Entwurf immer als die Krönung Ihrer Prärie-Architektur bewundert, und ich wollte fragen, wie Sie darauf gekommen sind, das Problem, dieses Haus auf solch einem schmalen Grundstück unterzubringen, auf diese Weise zu lösen ... «
    Ich weiß noch, dass Wrieto-San den Brief hinlegte und sich auf seinem Stuhl umdrehte, um mich anzustarren. Er brauchte einen Augenblick, musste umschalten, sein Denken neu justieren, und auf seinem Gesicht breitete sich langsam eine gewisse Vorfreude aus. »Tja, nun«, setzte er dann selbstvergessen an, »wie Sie ganz richtig sagen, gab es da zunächst einmal das Problem des Grundstücks, seiner Beziehung zur Straße, verstehen Sie, und zu den Bauten ringsum.« Und dann redete er weiter, fast ohne Luft zu holen, bis die Glocke zum Abendessen rief. Der Regen hatte nachgelassen. Draußen war es dunkel. Er stand langsam auf, reckte sich, als sei er gerade aus einem Mittagssschläfchen erwacht, schaute zu Gene hinüber, der sich ebenfalls erhoben hatte, und dann wieder zu mir, und jetzt sah er mich zum erstenmal im Verlauf dieser Stunde wirklich. »Nun ja, Sato-San«, sagte er schließlich, »es ist ja wohl kein ernstlicher Schaden entstanden. Also, bleiben Sie. Aber keine weiteren« - er machte eine Handbewegung, die alles umfassen sollte, jedes erdenkliche Fehlverhalten, jeden Schnitzer und Patzer, jedes Abweichen vom Pfad der organischen Architektur -, »keine, keine ... na ja, Ihre Arbeit war ja bisher zufriedenstellend. Und wenn ich mich nicht täusche, hat es zum Essen geläutet.«
    Ich sollte darauf hinweisen, dass ich während meiner Zeit in Taliesin ein halbes Dutzend Mal zurechtgestutzt und dreimal entlassen wurde und dass ich es jedesmal schaffte, Wrieto-San so lange abzulenken, bis sein Unmut verflogen war - er liebte es einfach zu reden, sich in Erinnerungen zu ergehen, grundsätzliche Erklärungen abzugeben, zu urteilen und zu tadeln, war nie glücklicher, als wenn er, im Zimmer auf und ab schreitend, gestikulierend und seinen Stock herumwirbelnd, über irgendein Thema einen Vortrag halten konnte, und das lernten wir Schüler auszunutzen. Und ich sollte auch erwähnen, was aufmerksamen Lesern des obigen Textes nicht entgangen sein dürfte, dass nämlich Daisy und ich vor der Nase der beiden Wrights eine Liebesbeziehung mit allem Drum und Dran unterhielten, uns spätabends Zugang zu dem einen oder anderen Raum verschafften und, als es wärmer wurde, auch die Felder nutzten, ja bei einer denkwürdigen Gelegenheit sogar den berühmten Windmühlenturm, den Wrieto-San als junger Mann für seine Tanten gebaut und (sehr passend für unsere Zwecke, wie sich zeigte) »Romeo und Julia« genannt hatte. Noch am Abend meiner Verwarnung, keine zehn Minuten nachdem ich sein Büro verlassen hatte, trat ich ins Esszimmer, und als ich Daisy wie eine Königin unter Bürgerlichen dort sitzen sah, sang mein Blut in meinen Adern, sang in einer Tonart, die keinerlei Beschränkungen kannte. Ohne dem Meister oder auch Mrs. Wright gegenüber respektlos sein zu wollen, glaubte ich damals und glaube auch heute noch, dass niemand das Recht hat, Beziehungen zwischen jungen Leuten zu verbieten, die sich zueinander hingezogen fühlen. Beziehungen zwischen Liebenden. Wir waren Liebende, Daisy und ich, und in all den Jahren seither hat es keinen Tag gegeben, an dem ich nicht an sie gedacht habe.
    Wie dem auch sei, ungefähr um die gleiche Zeit hatte ich Gelegenheit, mich Wrieto San auf eine handfestere Art zu beweisen als durch das Hantieren mit Reißschiene und Winkel (oder auch durch die Unterwerfung unter irgendein absurdes klösterliches Regime). Es war ein frischer Tag Ende Oktober, der

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