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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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richtete und mit einem spinnenartigen Verband aus Gaze und antiseptischem Klebeband fixierte. Und es oblag wiederum mir, uns in der Kühle des sich neigenden Tages und bei aufgefrischtem Wind nach Taliesin zurückzufahren, den kämpferisch gestimmten Wrieto-San neben mir. Ich weiß nicht, ob Boris Karloff damals schon seinen dramatischen Auftritt in der Mumie gehabt hatte, aber so etwa wirkte Wrieto-San, wie er da saß mit seinem bandagierten Gesicht, den Stock in die sich niedersenkende Dunkelheit stieß und während der ganzen langen Heimfahrt tobte und wetterte.
    Wie sich zeigte, war das noch nicht das Ende vom Lied.
    Kaum waren wir die Zufahrt hinaufgefahren und in den Hof gerollt, kam eine Handvoll Schüler, die das verklingende Dröhnen des mächtigen Motors von Wrieto-Sans Cord hörten, aus dem Studio geströmt, neugierig auf den Grund unserer verspäteten Rückkehr und dankbar für jede Abwechslung. Wes war der erste. »Mein Gott«, rief er, noch während er herausgeeilt kam. »Was ist passiert? Hatten Sie einen Unfall?« Im nächsten Moment hatten sich alle um uns geschart, begafften Wrieto-Sans Verband und bestaunten mich, der ich mit rotem Gesicht und einer glänzenden, auf den rechten Wangenknochen getupften Prellung den privilegierten Platz am Steuer innehatte.
    »Mr. Wright, ist alles in Ordnung?« rief jemand.
    »Brauchen Sie Hilfe, Mr. Wright?«
    »Mr. Wright?«
    »Tadashi, was ist los, was ist passiert?«
    Wrieto-San stieß die Tür des Cord auf, wehrte mit einem kampflustigen Schwung seines Stocks ein Dutzend eifriger Arme ab, stieg aus und stand dann mit gestrafften Schultern und flammendem Blick da, offenbar weder durch den Blutverlust noch durch den eisigen Wind beeinträchtigt. Seine Mantelaufschläge waren, wie mir jetzt erst auffiel, mit bräunlichen Flecken übersät. Das Hemd - noch am Morgen so blütenweiß und frisch gestärkt, wie ein Schüler es nur hinbekam - war zerrissen und blutverschmiert, und sein Hut war zerdrückt. Er sagte nichts. Schaute sich nur böse um, als wären sämtliche anwesenden Männer und Frauen für das, was ihn ereilt hatte, verantwortlich, dann machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte zum Haus. Erst als er die Tür aufgerissen hatte und in den Schatten seines privaten Wohnbereichs getreten war, wohin ihm niemand folgen durfte, schienen ihn die Kräfte zu verlassen. »Olgivanna!« hörten wir ihn mit der quengelnden Stimme eines Schuljungen rufen, der sich auf dem Spielplatz das Knie aufgeschrammt hat. »Olgivanna, wo zum Teufel bist du?«
    Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, wandten sich alle mir zu. Ich saß immer noch am Lenkrad des Cord, zähneklappernd und mit heillos zerzaustem Haar, und wollte nicht, dass der Moment verstrich. Es war Daisy, die mich schließlich auf den Boden herunterholte. Sie stand direkt neben mir, beugte sich zu mir herein, und ihr Gesicht schien vor den erleuchteten Fenstern des Hauses zu schweben. Sie war überwältigend schön. Und sie redete mir zu. »Komm, Tadashi - wir sterben vor Neugier. Außerdem musst du aus der Kälte raus und etwas essen. Ich habe Emma gebeten, dir etwas aufzuheben -«
    Dann waren ihre Finger in meine verschränkt, wir gingen zur Küche, drei Viertel der Schülerschaft auf den Fersen, und ich versuchte inmitten eines Sturms der Empörung die Geschichte zu erzählen. Ich stand an der Küchentheke - oder wurde vielmehr im Gedränge dagegen gepresst -, vor mir einen Teller aufgewärmte, in Soße schwimmende, gesunde Hausmannskost, und alle redeten auf einmal. Wes, der Riese, dessen Kopf, breite Schultern und Oberkörper uns überragten, als stünde er auf Stelzen, rief mit hoher, angespannter Stimme: »Dann war es also Dunleavy - war der es? War es Dunleavy?«
    »Ja«, erwiderte ich, und zum sechstenmal in ebensovielen Minuten schilderte ich die Szene vor dem Eisenwarenladen und welche Rolle ich darin gespielt hatte, und dabei rieb ich mir das Gesicht (das kaum weh tat), um die Aufmerksamkeit auf das Ehrenabzeichen zu lenken, das ich die nächsten anderthalb Wochen tragen sollte.
    Ich aß nichts. Ich konnte nichts essen. Die Fellowship - meine Kameraden und Zimmergenossen, sanftmütige Männer und Frauen, denen Ideen und die Ästhetik der Gestaltung mehr bedeuteten als jeder körperliche Gefühlsausdruck, hatten sich in eine Bürgerwehr verwandelt, die auf dem besten Wege war, Lynchjustiz zu üben. Es wurde beschlossen, ich weiß nicht mehr, von wem, dass wir uns in ein Auto - in mein Auto, den

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