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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Herbst ging zur Neige, die Sonne warf ihr blasses, kaltes Auge auf die Felder, die Bäume waren leblos und selbst die Schatten wirkten ausgebleicht und entkräftet. Ich war im Obstgarten und pflückte mit einem Trupp anderer Schüler Äpfel, als Wrieto-San in seiner Reithose und dem langen Mantel mit großen Schritten über die Anhöhe kam. Er hielt auf uns zu, und jetzt sahen wir, dass er ein neues Tweedjackett anhatte sowie den hohen steifen Kragen und die Künstlerkrawatte, die er zu offiziellen Anlässen gerne trug. Herbert, der auf dem Traktorsitz stand und mit einem Rechen die Früchte von den oberen Ästen löste, hielt einen Moment inne. »Sieht aus, als würde er in die Stadt fahren«, bemerkte er mit seiner hohl klingenden, leicht überschnappenden Stimme. »Mal gespannt, wer der Glückliche sein wird.«
    Wrieto-San versuchte, keine Günstlingswirtschaft zu betreiben, und wählte nach dem Zufallsprinzip mal den, mal jenen von uns aus, wenn er jemanden brauchte, der ihn zum Ort eines potentiellen Projekts begleitete, einen Botengang für ihn erledigte oder einfach nur eine Hacke zur Hand nahm und ihm zuhörte, während er sich über irgendein Thema ausließ, das ihn gerade beschäftigte. An diesem Tag kam er direkt zu unserer kleinen Gruppe - wenn ich mich recht erinnere, gehörten ihr noch Esther und Gwendolyn an - und rief: »Tadashi, wie wär’s mit einem kleinen Ausflug nach Madison? Um das Werkzeug für das Hillside-Projekt abzuholen und noch ein paar andere Kleinigkeiten zu besorgen?«
    Er fuhr mit offenem Verdeck, obwohl es, wie gesagt, recht frisch war und durch den Fahrtwind noch frischer wurde, wenn Wrieto-San beschleunigte und den Cord an Farmwagen, aufragenden Lastern und den kriechenden Schemen weniger leistungsstarker Autos vorbeiziehen ließ. Er redete während der gesamten Fahrt, sprach von seinen Vorträgen, die Taliesin viel Geld und Anerkennung einbrächten, und von den Aufträgen, die in den kommenden Monaten in solchen Mengen zu erwarten seien, dass wir allesamt sechs Tage die Woche im Zeichenraum beschäftigt sein würden. Ich wickelte mir einen Schal um den Hals, strich mein wehendes Haar glatt und hörte ihm zu. Als wir den Stadtrand erreichten, überkam mich eine Anwandlung von Stolz - Wrieto-San hatte mich zum Gefährten gewählt, und alle konnten es sehen.
    Zu seiner Rechten sitzend, versuchte ich, zugleich würdig und lässig zu wirken, doch ich fürchte, ich konnte mir ein glückseliges Lächeln nicht verkneifen. Dieses unvergleichliche Automobil, dessen Motorhaube unter einer von Schülern frisch aufgetragenen Wachsschicht schimmerte, brummte dahin, während er die Gänge wechselte, die Speichenräder zerhackten das Licht, und wir rauschten, von einer Aura der Eleganz und Privilegiertheit umgeben, durch die leeren Straßen mit all den schmalbrüstigen Fords und traurigen Chevrolets. Wohin wir auch kamen, drehten sich die Leute nach uns um.
    Wir aßen in der Sorte Lokal zu Mittag, die Wrieto-San am liebsten mochte - einem Drugstore, wo es vorzugsweise in Soße schwimmendes Hackfleisch und Berge von Kartoffeln, Bohnen und süßem Mais gab -, dann fuhren wir zur Eisenwarenhandlung und parkten den Cord am Straßenrand, wo er alsbald von Scharen kleiner Jungs und glotzender Männer in Latzhosen und zerfransten Strohhüten umringt war. Wrieto-San bedachte den Mann hinter der Ladentheke mit seinem geballten Charme, leistete eine Abschlagszahlung - er hatte Rückstände in Höhe von mehreren hundert Dollar -, dann nahmen wir das Werkzeug und gingen zur Tür, Wrieto-San vorneweg stolzierend, ich, mit Paketen beladen, hinter ihm her.
    Als ich auf den Bürgersteig trat, einen Ellbogen noch gegen die Tür gestemmt, um eine beleibte Farmersfrau im geflickten Stoffmantel vorbeizulassen, die mir vage bekannt vorkam, wurde ich von hinten gepackt. Zwei Arme umschlangen mich wie Drahtseile, und ich wurde in einer Art taumelndem Tanz nach hinten gezerrt, so dass mir die Pakete entglitten und zwei Brechstangen und ein Dachdeckerbeil klirrend auf dem Bürgersteig landeten, während sich aus einer geplatzten braunen Papiertüte Holzschrauben explosionsartig über den Boden verteilten. Ich wehrte mich und versuchte mich umzudrehen, um einen Blick auf meinen Gegner zu erhaschen, doch er hatte seinen Kopf in meine Halsbeuge gepresst, um einen besseren Hebel zu haben, und so war das einzige, was ich mitbekam, sein stinkender Atem, der unter angestrengtem Grunzen in heftigen Stößen ging. »Lassen Sie

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