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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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mich los!« schrie ich, und jetzt blieben Leute auf der Straße stehen und schauten erschrocken herüber.
    »Sind Sie verrückt? Lassen Sie mich los!« Ich zappelte wütend. Er hielt mich fest. Wir tanzten über den Bürgersteig, prallten nicht nur einmal, sondern zweimal gegen die Schaufensterscheibe, die unter dem Aufschlag erbebte. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Ich versuchte mit aller Macht, meinen rechten Arm zu befreien, um meinem Angreifer an die Kehle zu gehen.
    Dann sah ich Wrieto-San und begriff. Er wurde von einem Farmer in Latzhose und einem Pullover mit Löchern an den Ellenbogen an der Tür des Cord festgehalten. Dem Farmer war das Blut ins Gesicht gestiegen. Seine Augen waren zu Schlitzen zusammengekniffen, zwischen denen ein tiefer Graben der Feindseligkeit verlief. »Sie Mistkerl«, sagte er, ohne die Stimme zu erheben, keine Beschimpfung, kein Vorwurf, sondern schlicht eine sachliche Feststellung. »Sie meinen wohl, Sie könnten meine Frau um ihren Lohn betrügen und dann wie ein König in Ihrem schicken Auto hier herumfahren? Sie halten sich wohl für was Besonderes?«
    Wrieto-San hatte sich aufgeplustert wie ein Hahn und den Stock zu seiner Verteidigung erhoben. Er presste sich gegen das Auto und schrie: »Bleiben Sie mir vom Leib! Bleiben Sie mir bloß vom Leib!«
    Aber der Farmer tat ihm den Gefallen nicht, und er hatte auch nichts mehr zu sagen.
    Er trat einen Schritt nach hinten, um sich in Stellung zu bringen, und dann schlug er plötzlich zu - sein gewaltiger Keil von einer Faust schoss aus seinem Pulloverärmel hervor und traf hörbar auf Knochen und Knorpel von Wrieto-Sans wehrloser Nase. Es war ein verheerender Schlag. Wrieto-San - er war Mitte Sechzig, das darf man nicht vergessen - wankte und rutschte dann an dem polierten Kotflügel des Cord herunter wie ein Seehund, der sich in ein rötliches Meer gleiten lässt, sein Stock fiel klappernd zu Boden, sein Hut machte sich selbständig, und nur sein Mantel bremste seinen Sturz.
    »Wrieto-San!« schrie ich - brüllte ich, plärrte ich -, und für den Bruchteil einer Sekunde erstarrten alle. Dann lockerte der Angreifer seinen Griff, ich wirbelte zu ihm herum - er hatte die gleiche nach Butter stinkende irische Visage wie der Farmer, die gleichen Augen, nur jünger und weit aufgerissen -, und es kam zu einem raschen, sinnlosen Schlagabtausch, während Wrieto-San, wie der überarbeiteten Fassung seiner Autobiographie zu entnehmen ist, aufsprang, seinen Gegner umklammerte (nur um abermals niedergestreckt zu werden) und die beiden vom Bürgersteig in den schlammigen, verdreckten Rinnstein rollten. Einen Moment lang war Wrieto-San oben, und aus seiner eingedrückten Nase ergoss sich ein so kräftiger, nicht nachlassender Schwall von Blut auf seinen Gegner, dass ich dachte, er werde verbluten, aber schon rangen die beiden wieder, und jetzt war der Farmer oben und ließ seine Faust in kurzen, heftigen Hieben niedersausen. »Stoppt den Kerl!« schrie Wrieto-San. »Herrgott noch mal, stoppt ihn! Er bringt mich um!«
    Ich packte den Farmer an der Schulter, und nun waren auch andere zur Stelle, ein hemdsärmeliger Ladenbesitzer mit Hosenträgern und dickem Hintern trat zu den Kampfhähnen, und ein Mann in militärischer Aufmachung sagte mit stählerner Stimme: »Hören Sie auf!« Der Farmer wirbelte herum - sein Hals war flammend rot, sein Gesicht hatte die Größe und Farbe eines fetten Schinkens -, gab mir einen heftigen Stoß und verschwand in der Menge, die wie aus dem Nichts zusammengelaufen war.
    Zu mehreren halfen wir Wrieto-San auf die Beine, und dann lehnte er benommen am Kotflügel des Cord, sein Haar zerzaust, die eine Wange aufgeschürft und schlammverschmiert, ein tropfendes rotes Taschentuch an die Nase gepresst.
    »Ergreifen Sie diesen Mann«, befahl er mit unsicherer Stimme. »Ich will, dass er verhaftet wird. Sehen Sie, was er mir angetan hat?« Er ließ den Blick über die versammelten Ladenbesitzer, Farmersfrauen und kleinen Bengel schweifen. »Die reine Gesetzlosigkeit ist das. Die reine Gesetzlosigkeit, hier in den Straßen von Madison.«
    Keiner rührte sich. Der Farmer hatte sich mitsamt Sohn und Frau (Mrs. Dunleavy, falls Sie es noch nicht erraten haben) davongemacht. Es oblag mir, Wrieto-San auf den Beifahrersitz zu helfen und den ungestümen Motor des Cord so lange zu bändigen, bis wir die nächstgelegene medizinische Einrichtung erreicht hatten, wo ich wartete, während ein gebeugter alter Landarzt Wrieto-Sans Nase

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