Die Frauen
mit leiser Stimme, ich hätte sie enttäuscht. »Und nicht nur mich«, fügte sie hinzu, »sondern auch Mr. Wright, und das kommt einem Verrat an allem gleich, wofür er steht - Wahrheit im Angesicht der Welt, die Sache der organischen Architektur, der Kampf gegen die Geschmacklosigkeit und Fadheit des Internationalen Stils -, ganz zu schweigen davon, dass Sie Ihren Kollegen, ja Taliesin an sich einen schlechten Dienst erwiesen haben.«
»Geht es um gestern abend?« wagte ich zu fragen.
»Ja.«
»Nun, ich - ich hatte das Gefühl, ab und zu - oder zumindest dieses eine Mal - wäre es angebracht, die Neuen auf kollegiale Weise zu begrüßen, ein bisschen aus sich herauszugehen, sozusagen -«
»Zu trinken.«
Ich blieb stumm und beobachtete ihre Augen, dunkle Augen, so dunkel und undurchdringlich wie die dicken Tafeln Blockschokolade in der Speisekammer.
»Alkohol«, sagte sie und verzog angewidert den Mund. »Bier, Whisky, Gin. Und in einer üblen, wie sagt man? Kaschemme?, einer Kaschemme wie Stuffy’s Tavern. Was meinen Sie wohl, was für einen Eindruck das bei den Leuten erweckt, die das Ende von Taliesin herbeiwünschen? Bei den Leuten hier aus der Gegend, bei der Presse? Bei den Klatschmäulern?«
Ich ließ den Kopf hängen. Murmelte irgend etwas Sinnloses. Möglicherweise sogar auf japanisch, so verstört war ich inzwischen.
»Und Beziehungen zwischen den Geschlechtern«, fuhr sie fort, faltete die Hände und ließ sie in den Schoß sinken. Das kalte, mörderische Licht des ausgewaschenen Tages haftete wie Folie an ihrer rechten Gesichtshälfte. »Es darf keinesfalls der Eindruck entstehen, wir würden so etwas unterstützen, jedenfalls nicht zwischen den ledigen Schülern, wie Sie einer sind.« Sie hielt inne, und das trostlose Geräusch des Regens schwoll an wie die Hintergrundmusik eines Leinwand-Melodrams. »Und dann dieses neue Mädchen, Daisy. Daisy darf nicht kompromittiert werden. Wir dürfen nicht kompromittiert werden. Wie Ihnen zweifellos bewusst ist, Tadashi.«
Ich hatte nichts zu meiner Entschuldigung oder Entlastung vorzubringen. »Ja«, erwiderte ich.
Eine weitere Pause, der Regen schwoll wieder an, das Feuer nagte an dem Holzscheit, das der diensthabende Schüler auf den Feuerbock gelegt hatte. Sie löste die Finger voneinander und begann, sich die Hände zu reiben, als säße die Quelle ihrer Unzufriedenheit in der rauhen Hornhaut an ihren Handflächen. »Haben Sie mich verstanden?«
Ich verbeugte mich, so tief ich konnte - verbeugte mich beschämt, zerknirscht, kapitulierend -, und dann verließ ich unter weiteren Verbeugungen das Zimmer, drehte mich langsam und leise auf einem Absatz um und schlich, ein reuiger Sünder, an den Zeichentisch zurück.
Später an diesem Tag, kurz nach unserem Arbeitsschluss um fünf, ließ Wrieto-San mich auf ein Wort zu sich bitten. Er war in seinem Büro, wo er seinem neuem Sekretär Eugene Masselink Briefe diktierte, und hob kaum den Blick, als ich zögernd am Eingang stehenblieb. Hätte es eine Tür gegeben, hätte ich angeklopft, doch in Ermangelung dieser Möglichkeit stand ich einfach nur da und versuchte, ganz entspannt auszusehen, während er extemporierte und Gene Masselinks Stift über das Papier flog. »>Meine liebe Mrs. Willey, mein lieber Mr. Willey<«, begann er, »>vermutlich sind Sie mittlerweile etwas beunruhigt wegen Ihres Architekten und mehr oder weniger davon überzeugt, dass er die Willeys vergessen hat.< Neuer Absatz. >Aber ungeachtet der Verzögerungen, die der Sache hoffentlich nur dienlich sein werden, ist er fleißig an der Arbeit, und Ihr neues Heim liegt ihm sehr am Herzen.<«
Ich stand dort, bis der Brief, der sich als eine Kombination aus Aufmunterung, Predigt und Verschaukelung erwies, fertig war, erst dann nahm Wrieto-San mich wahr.
»Tadashi - auf ein Wort«, sagte er und nickte mir vom Schreibtisch aus zu. Gene - er war jung, jünger als ich, mager und schlaksig, mit Adlernase und einem federartigen Schopf, der sich steif von seinem Scheitel erhob - blickte erschrocken hoch, so dass sich das Licht in seiner Brille spiegelte.
»Ja, Wrieto-San«, sagte ich und verbeugte mich.
»Diese Frauen«, sagte er. Er heftete seine Augen auf mich, seine Architektenaugen, denen kein Detail entging, die immer leuchteten, selbst wenn er erschöpft war, als würden sie aus einer eigenen Stromquelle gespeist, die weder Leistungsschwankungen noch Ausfälle kannte. Er war Frank Lloyd Wright, der größte Architekt seiner und auch
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