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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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nervösen Blick zu Wrieto-San nicht verkneifen, der bei ein paar Schülern - Herbert, Wes, Yen, Edgar Tafel - stehengeblieben war und sich über irgendeines seiner zahllosen Themen ausließ. Seine Jungs nannte er uns gern, womit er die Frauen unter uns der Einfachheit halber unter den Tisch fallen ließ.
    »Das klingt, als hätten Sie Angst vor ihm.«
    Zu meiner Ehre darf ich sagen, dass ich, wenn ich mich recht erinnere, nicht den Helden markierte und große Töne spuckte, wie Männer es üblicherweise nach einer solchen Bemerkung tun, die letztlich ja ihre Männlichkeit in Zweifel zieht. Ich wandte nur den Blick von ihren Augen ab und sagte: »Ja.«
    Und zu Daisys Ehre wiederum kann ich sagen, dass sie - ein Freigeist, wenn es je einen gab - mich am Arm fasste und flüsterte: »Ja, worauf warten wir denn noch? Auf zu Stuffy’s!«
    Die Einzelheiten dieses Abends sind mir nach all den Jahren nicht mehr gegenwärtig, und natürlich vermischt sich dieses Ereignis in meiner Erinnerung mit zahlreichen anderen, aber wir waren zweifellos fröhlich, kippten Bier und auch härtere Sachen, warfen Münzen in die Jukebox, schwatzten, tanzten, fühlten uns, als hätte sich das Dach von den Mauern gehoben und uns den Himmel geschenkt. Sehr wohl erinnere ich mich jedoch an das, was folgte: wie wir uns durch den Regen nach Hause schleppten, zu zehnt oder zwölft über die Straße verteilt, ein schwarzes Band, das aus dem noch schwärzeren Himmel gefallen zu sein schien, wie wir typische Jungmännerspäße trieben, unschuldige Kühe in Angst und Schrecken versetzten, in unserem Rausch die Gefahren des Autoverkehrs (nicht dass welcher geherrscht hätte) ignorierten und dergleichen mehr. Wir waren junge Männer. Es waren Frauen da, die wir beeindrucken wollten. Einer von uns tat sich hervor - ich glaube, das war in dieser Nacht -, indem er in den Kühler von Wrieto-Sans Cord Phaeton urinierte. Und höchstwahrscheinlich veranstalteten wir einen ziemlichen Radau im Hof, als wir die Frauen galant zu ihren Zimmern geleiteten.
    Als ich am nächsten Morgen an dem Querschnitt eines Flügels der geplanten Zeitungsdruckerei saß, wobei mein Gehirn hinter meinen Augen immer weiter anzuschwellen schien und mein gesamter Verdauungstrakt kurz vor einer fatalen Entleerung stand, kam einer der anderen Schüler - Herbert Mohl, der mit dem farblosen Haar und den blässlichen Augen - mit verlegener Miene zu mir und sagte, ich würde im Wohnzimmer verlangt. Ich suchte seinen Blick. Im Wohnzimmer?
    »Ja«, sagte er, und seine Stimme schwebte über mir wie die eines Henkers. »Von Mrs. Wright.«
    Ich versuchte, meine Gefühle zu beherrschen, während ich durch Zeichenraum und Loggia zum Wohnzimmer ging. Mrs. Wright bestellte einen nicht grundlos ein, das wussten wir alle, und sie schien einen beinahe hellseherischen Sinn dafür zu haben, was sich gerade im Haus zutrug, so dass man, selbst wenn sie gar nicht da war, spürte, wie sie ihre Tentakel ausstreckte. Womöglich war sie enttäuscht darüber, wie ich mein Zimmer eingerichtet hatte, oder ich hatte auf dem Feld beim Kartoffelernten irgend etwas getan, woran sie sich störte, vielleicht hatte sie auch etwas an meinem Fahr- oder Kleidungsstil auszusetzen - alles mögliche war denkbar. Aber am wahrscheinlichsten war natürlich - und ich gebe zu, dass mein Blutdruck anstieg -, dass es um den vorigen Abend ging. Mrs. Wright mochte weder Stuffy noch seine Schenke. Sie mochte es nicht, wenn getrunken wurde. Vor allem aber mochte sie es nicht, wenn die Schüler in der Öffentlichkeit tranken - schon gar nicht in gemischter Gesellschaft. Es regnete noch immer, der Ausblick durch die Fenster war von Wolken verdüstert, die Zimmer waren kalt und feucht und von dem üblichen organischen Geruch erfüllt.
    Ausnahmsweise beachtete ich weder die Skulpturen noch die Möbel, die kühne Geometrie des Teppichs oder die Art und Weise, wie die verschiedenen Oberflächen des Raums aus den Natursteinsäulen herauszuwachsen schienen wie aus einem sich endlos verzweigenden Baum. Ich ging einfach mechanisch weiter und zögerte am Eingang zum Wohnzimmer nur eben lang genug, um mich zu räuspern.
    »Herein«, rief Mrs. Wright. Sie thronte, in einen Schal gehüllt, auf dem Fenstersessel gegenüber dem Kamin. Ihr Haar war so straff zurückgekämmt, dass es ihren Kopf zu umklammern schien. Sie lächelte nicht. Sie bat mich nicht, Platz zu nehmen. Sie wartete einfach, bis ich vor ihr auf der Teppichkante stand, und erklärte dann

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