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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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seinem Malakka-Stock auf, von einer beeindruckenden Gruppe männlicher Schüler umringt (auf dem berühmten Foto, das in den Zeitungen von Spring Green, Madison und Chicago erschien, bin ich der zweite von rechts). Der Farmer wurde des tätlichen Angriffs auf Wrieto-San für schuldig befunden, vom Richter zurechtgewiesen und zu einer Woche Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt, woraufhin er und seine zerlumpte Familie zu dem Schluss kamen, dass sie dem heimatlichen Boden ihren Lebensunterhalt nicht mehr abtrotzen konnten, und sich den verarmten Horden anschlossen, die sich nach Westen ins verheißungsvolle Kalifornien aufmachten. Ich muss wohl nicht eigens erwähnen, dass ich nicht gerade stolz auf die Rolle bin, die ich in dieser Angelegenheit gespielt habe, ebensowenig wie auf die Tatsache, dass ich bei den Behörden von Iowa County, Wisconsin, bis heute als Kleinkrimineller gelte, wenn nicht gar als Inbegriff des unerwünschten Ausländers. Für Wrieto-San hingegen war ich nun in die kleine, aber feine vorderste Riege »seiner Jungs« aufgerückt, und in den kommenden Monaten und Jahren sollte ich immer wieder miterleben, dass er sentimental - und auch großspurig - wurde, wenn er erzählte, wie seine Jungs für ihn eingetreten waren, als es hart auf hart gekommen war. Er verstummte irgendwann mitten in seiner jeweiligen Rede, und sein Blick schweifte in die Ferne. »Ja«, sagte er dann, »wenn es eines gibt, worauf ich zählen kann, dann sind das meine Jungs.«
    Ich merke, dass ich mich womöglich etwas zu ausführlich über diese Zeit in Wrieto Sans Leben ausgelassen habe, denn eigentlich soll dies ja nur eine Einführung sein, aber ich denke doch, dass meine Erinnerungen dazu beitragen werden, den Charakter dieses Mannes, dessen Größe keinen von uns unberührt gelassen hat, zu beleuchten. Zum Schluss sollte ich noch erwähnen, dass mein hervorragender Mitarbeiter Seamus O’Flaherty außer den bereits erwähnten Übersetzungen auch zwei Romane verfasst hat, Frauen auf der Matte (der, anders als man vielleicht denken mag, vom Damenjudo handelt) und Sack und Pack (wiederum eine Überraschung - dieses Buch handelt von einer fiktiven Detektei, die in den Jahren direkt nach dem Zweiten Weltkrieg von den beiden Briten Jonas Sack und Malcolm Pack in Okinawa aufgebaut wird). Bisher hat sich allerdings leider für keines der beiden Werke ein Verlag gefunden. Dessenungeachtet verleiht O’Flaherty-San dem vorliegenden Text, da wird man mir sicher zustimmen, eine einzigartige künstlerische Perspektive, indem er ihn sich gegen den Lauf der Zeit entfalten lässt, um so das wahre Wesen von Mr. Frank Lloyd Wright zu erfassen, Wrieto-San, Wrieto-San, banzai! - dem Leitstern und Genius aller praktizierenden Architekten, einst, heute und in aller Zukunft.

Kapitel 1
    DIES IRAE
     
    August 1914. In Europa herrschte Krieg, Erzherzog Franz Ferdinand war ermordet worden, die alten Ordnungen brachen zusammen, Schützengräben wurden ausgehoben, Not, Schrecken und Verderben breiteten sich aus wie die ringförmigen Wellen auf der Oberfläche eines Teichs, doch die Gerüchte darüber berührten ihn kaum. Nichts berührte ihn. Noch vor einer Woche war er so sorglos, so aufrichtig glücklich gewesen wie nur je: Mamah war zusammen mit Taliesin erblüht, hatte an einem eigenen Buch geschrieben und mit ihrem gottgegebenen Charme und Liebreiz und ihrem lange nachklingenden Lachen die Nachbarinnen allmählich für sich eingenommen, die Skandale hatten hinter ihnen gelegen, die Bluthunde von der Presse hatten sich auf anderer Leute Schande und Elend gestürzt, und seine eigene Arbeit an den Midway Gardens hatte sich in einem hektischen Wirbel von in letzter Minute vorgenommenen Änderungen und Umgestaltungen, von Verzögerungen und Lieferengpässen und der geradezu wahnwitzigen gemeinsamen Anstrengung eines Kaders von Männern, die gegen die Uhr arbeiteten, der Vollendung genähert - alles war also so gewesen, wie es ihm gefiel. Doch jetzt war er allein. Taliesin lag in Schutt und Asche. Und Mamah war tot.
    An einem Tag, den er nicht hätte benennen können - Montag, Dienstag, was spielte es schon für eine Rolle? -, saß er nach Mitternacht auf dem Hügel oberhalb der Ruine des Hauses, ringsum veranstalteten die Grillen ein lautes Konzert, als würde ihr Leben nie zu Ende gehen und der Frost nie kommen, Glühwürmchen äfften die Sterne am Himmel nach, das Gras stand hoch und üppig, die Bäume waren mit Früchten beladen, und über

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