Die Frauen
den anderen ermordet worden war und jetzt auf den Steinen aufgebahrt lag wie eine verbrannte Opfergabe. Der Sarg stand im Hof, roch nach Baumsaft und Sägespänen, separat, konkret, ein Gegenstand, den er anfassen und betasten, über den er streichen konnte. Weymouthskiefer. Gehobelte Kanten. Aber war er nicht zu klein? Zu begrenzt, zu beschränkt für einen Geist wie den ihren? Sein erster Gedanke war, dass Billy sich verrechnet haben musste. Er schlich immer wieder darum herum, bekam das Problem nicht zu fassen, fand in den zusammengefügten Brettern und der hellen, ungleichmäßigen Maserung des Holzes keine Erklärung - Architektur, es war doch bloß Architektur -, bis sein Sohn John ihn schließlich dort fand. »Zu klein, zu klein«, murmelte er immer wieder, dem Zusammenbruch näher als zu jedem anderen Zeitpunkt, seit er aus dem Zug gestiegen war. »Nein, Papa«, sagte John. »Die Größe stimmt genau«, und da begriff er endlich, dass es so war. Sie stimmte.
In der Scheune hingen mehrere Sicheln an der Wand, und er suchte sich eine aus, die ihm gut in der Hand lag, und schärfte die Klinge mit dem Wetzstein, bis sie in dem dichten, wabernden Augustlicht glänzte. Als er zufrieden war, ging er hinaus in ihren Blumengarten und säbelte mit wilden, weit ausholenden Hieben alles nieder, bis seine Hände von dem Ichor der Stengel bedeckt waren, ein ganzes Feld von abgeschnittenen Blumen, die in Garben vor ihm lagen, genug, um einen Sarg und auch noch eine frische Grube zu füllen. Er jagte den Leichenbestatter fort. Jagte alle fort, die Zeitungsleute, die Farmer und ihre Frauen, die Gaffer und Blutsauger, all die Leute, die sie nicht gekannt hatten und nie kennen würden. Nur er kannte sie, er allein, und er war es, der sie in Blüten bettete, ihre eigenen Blüten, für die sie sich so abgemüht hatte, Blütenblätter, die sich der Sonne öffneten, doch jetzt für immer geschlossen waren.* Dann spannte er die beiden Rotfüchse an und führte den Leichenzug die Auffahrt hinunter, fort von den verkohlten Ruinen und dann über die Landstraße zu der Kapelle und dem Friedhof der Familie Lloyd Jones.
* Eine der Frauen aus der Nachbarschaft hatte den Leichnam hergerichtet, ihn von Kopf bis Fuß in Laken gehüllt, um die Entstellungen zu verdecken - der Schädel gespalten, das Hirn ausgetreten, Rumpf und Glieder vom Feuer geschwärzt.
Die Trauerfeier war kurz, denn es gab nichts zu sagen, jedenfalls was ihn betraf, so schwer waren der Schlag, die Bürde des Schmerzes, die Strafe, und danach schickte er alle fort - seine Schwester Jennie, seinen Sohn John, seinen Schwager Andrew Porter und die Handvoll anderer - und griff selbst zur Schaufel. Ihr Mann - ihr Exmann, ein anständiger Kerl, durchaus anständig - war nicht dabei. Und er hatte auch nicht dabeisein wollen. Er saß im Zug nach Chicago, dem Zug, der in jedem Kaff hielt, und war selbst mit zwei Särgen unterwegs, noch kleineren als dem, den Billy Weston für seinen Sohn gebaut hatte. Mit weichem Prasseln fiel die Erde in die Grube, Steine klackerten auf die gehobelten Kanten des Sarges, dann der dumpfe Aufprall eines Lehmklumpens, ein paar durchtrennte Wurzeln. Regen zog auf. Der Geruch der Erde. Schließlich war der kleine Erdhügel aufgehäuft, und er klopfte ihn mit der Rückseite der Schaufel fest, während sich aus dem wolkenzerwühlten Himmel die Dämmerung niedersenkte. Die Hitze - die Augusthitze - wurde massiver, bis sie wie eine andere Art von Feuer aus dem Boden zu steigen schien. Als es irgendwann nach Mitternacht schließlich zu regnen begann, war er noch immer dort, und obwohl der Regen ihn bis auf die Haut durchnässte, kühlte er ihn nicht ab.
Doch als er jetzt im nassen Gras auf dem Hügel saß und zusah, wie das wandernde Lichtpünktchen von Joseph Williams’ Zigarette die Schichten der Nacht zerteilte, stieg ein neues Gefühl in ihm auf, als wäre das Band um sein Herz ein wenig gelockert worden. Sie war tot und er nicht, und daran würde auch noch soviel Grübeln und Trauern nichts ändern. Es war, als hätte sie nie existiert, oder als existierte sie in einer ganz anderen Sphäre, einer Art Niemandsland, zu dem er keinen Zugang hatte. Sie war fort, körperlich wie seelisch, doch hier war der Beleg, dass sie existiert hatte - Taliesin. Zumindest, was davon übrig war, das Studio und die hinteren Räume, die Garagen und Ställe, die einsam und verloren dastanden, dieser Ort, der aus dem Hügel erwachsen zu sein schien und den kein
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