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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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allem lag der bittere Gestank der Asche. Fünfhundert Exemplare von Ausgeführte Bauten und Entwürfe von Frank Lloyd Wright, auf feinstem deutschem Papier gedruckt, schwelten im Keller vor sich hin - noch jetzt konnte er ihren speziellen Geruch ausmachen, einen dünnen, hartnäckigen chemischen Gestank nach Farbtafeln, sorgfältig ausgearbeiteten Grundrissen und erloschenen Ideen-, und wenn er den Kopf wandte, konnte er eine noch tiefere Dunkelheit sehen, schwarzen Rauch vor dem schwarzen Himmel und die dichten, strukturierten Schatten der frei stehenden Kamine, die ausahen wie die Überreste einer untergegangenen Zivilisation. Bis auf die Grillen war es still. Und dann sprang ihn plötzlich ein Geräusch an, rauh und knirschend, Stiefelabsätze auf der Asche, und ihm stockte der Atem. Da, ein Licht flammte auf - ein Streichholz wurde angerissen und gleich wieder gelöscht. Joseph, dachte er, es ist nur Joseph, der Farmerssohn, den er angestellt hatte, damit er mit einem Gewehr auf dem Grundstück patrouillierte, um die Plünderer und jeden anderen fernzuhalten, der ihm womöglich etwas antun wollte.
    Ihm noch Schlimmeres antun wollte. Das Schlimmste. Der Barbadier saß im Gefängnis von Dodgeville, aber wer wusste schon, ob er nicht Komplizen hatte, ein ganzes Heer von rebellischen Negern in weißen Dienerjacken, die mit ihren Beilen und Messern im Gebüsch kauerten? Fast wünschte er, dem wäre so. Dann könnte er wenigstens etwas tun, um die Trauer und Wut herauszulassen, die in seinem Innern schwärten. Und nicht nur in seinem Innern. Sein Rücken war vom Steißbein bis zum Haaransatz im Nacken von Eiterbeulen übersät, schwärenden Entzündungen, und das, wo er doch in seinem ganzen Leben nie auch nur einen Pickel oder einen vergleichbaren Makel gehabt hatte. Es war, als bestätigte und manifestierte sich hier, was die Klatschmäuler behaupteten, dass nämlich die göttliche Gerechtigkeit über ihn gekommen sei, weil er gegen die Gesetze Gottes und der Menschen verstoßen habe, indem er mit Mamah nicht nur in wilder Ehe gelebt, sondern diese Sünde dadurch noch verschlimmert habe, dass er mit ihr nach Taliesin gekommen sei, wie um es ihnen allen noch einmal unter die Nase zu reiben. Mamah hatte den höchstmöglichen Preis dafür bezahlt, doch er war durch eine Kaprice des Schicksals verschont geblieben, war in Chicago gewesen, wo er derart unter Druck gestanden hatte, dass er dazu übergegangen war, auf der Baustelle in einem Haufen Sägespäne zu nächtigen. Verschont, so die Leitartikler, damit er sein restliches Leben lang leiden und sich quälen konnte. Brandstiftung, Mord, Verwüstung, Eiterbeulen. Was würde wohl als nächstes kommen - Frösche, die vom Himmel fielen? Heuschrecken?
    Sünde nannten sie es, die Prediger, die ihn von der Kanzel herunter anprangerten, triumphierten und sich hämisch freuten, und die Zeitungsleute mit ihnen, aber gab es so etwas überhaupt? Er glaubte nicht daran, ebensowenig wie Mamah oder Ellen Key, jedenfalls nicht, wenn es um ehrliche und liebevolle Beziehungen zwischen Frauen und Männern ging. Aber wie anders ließ sich erklären, was geschehen war? Es war der Gott Jesajas, der herabgestiegen war, um seine Hand gegen den Hügel zu erheben, der Gott, vor dem Ein Tad* ihn als kleinen Jungen hatte erzittern lassen. Die Worte lagen ihm auf den Lippen, ungewollt und unheilvoll, doch er konnte sie ebensowenig zurückhalten, wie er die Uhr zurückdrehen und dem Mörder in den Arm fallen konnte: »>Das Gras verdorret<«, sagte er, und der Klang seiner Stimme war ein Aufbegehren gegen die Einsamkeit der Nacht, »>die Blume verwelket, denn des Herrn Geist bläset drein. Ja, das Volk ist das Heu.<«
     
    * Walisisch für »Vater«. Richard Lloyd Jones, Wrieto-Sans Großvater mütterlicherseits - also der Vater des Clans -, betrachtete das vierzigste Kapitel Jesaja als sein persönliches Testament, und Wrieto-San und seine Schwestern mussten es auswendig lernen. Es kommt darin, wie ich finde, eine ganz besonders trostlose Auffassung vom menschlichen Leben und Streben zum Ausdruck. In der Shinto-Tradition gibt es nichts Vergleichbares.
     
    Er hatte sie eigenhändig begraben. In einem einfachen Kiefernsarg, den Billy Weston trotz seiner verbrannten Hände und aufgeplatzten Kopfhaut angefertigt hatte, und es hatte Billy keine Umstände bereitet, nicht der Rede wert, denn Billy war ohnehin schon dabei, einen Sarg zu bauen, einen Kindersarg für seinen Sohn Ernest, der mit Mamah und

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