Die Frauen
ein Hilfsmittel für stoppelwangige Greise, ein Variete-Requisit, so lernte er dessen Wert bald durchaus schätzen. Er wollte Effizienz. Er wollte Ruhe. Und nachdem sie die einleitenden Höflichkeiten ausgetauscht hatten und die Teller im Spülbecken in heißem Wasser weichten, gab es mit Mutter Breen schlicht nicht mehr viel zu bereden.
Die Wochen begannen sich zu überstürzen, eine lange Reihe nichtverankerter Säulen, die eine nach der anderen umgerissen wurden. Er schlief kaum. Und wenn er schlief, wurde er von Alpträumen geplagt, Carletons Gesicht, ein Schleier aus Blut, die abgehackten Gliedmaßen der Kinder, die grausigen, unerträglichen feuchten Flecken, die sich auf den Laken breitmachten, unter denen sie ausgestreckt lagen wie aus der Erde gerissene Wurzeln. Totenstarre. Er hatte nicht gewusst, was dieser Begriff wirklich bedeutete, hatte es nicht wissen wollen - diese kleinen Körper, aufgebahrt in einer grotesken Parodie der Rast und Ruhe. Sobald er auch nur einen Moment lang die Augen schloss, sah er die toten Kinder, sah er Mamah, und dann erhoben sich die nackten Säulen und gespenstischen Kamine wie in einer eigenen Wirklichkeit, schief, aus dem Lot, ein für allemal verkehrt. Planlos. Es gab keinen Plan. Nur Chaos.
Er wandte sich der Arbeit zu, vergrub sich darin, und womöglich hätte sie ihn aufrechterhalten, wären da nicht die ewigen finanziellen Unwägbarkeiten gewesen. Obwohl Midway Gardens Ende Juni mit großem Erfolg eröffnet worden war - über tausend Vertreter der Chicagoer Hautevolee waren in Smoking und Abendkleid erschienen, das National Symphony Orchestra hatte drei Konzerte gegeben, die Pavlova hatte getanzt, der Pöbel hatte die Biergärten gestürmt, und alle waren begeistert gewesen -, wurde es September, und noch immer waren die letzten Details unvollendet. Waller* hatte kein Geld mehr, er war pleite, so einfach war das. An allen Ecken und Enden fehlte noch etwas, Glaskunstarbeiten, Skulpturen, Wandmalereien, doch kein Flehen, kein Ärger, kein Groll, ja nicht einmal logische Argumentation konnten den Mann umstimmen - das Geld war weg, und Frank würde sich gedulden müssen. Gedulden? Er brauchte eine Vergütung, brauchte Geld, um Taliesin wiederaufzubauen, und was war mit seinem Honorar? Wo war die Entschädigung für die vielen hundert Stunden, die er investiert hatte? Für Taliesin? Für Mamah?
* Edward C. Waller, Jr., Initiator des Projekts, hatte 65.000 Dollar aufgebracht - denen am Ende Gesamtkosten von 350.000 Dollar gegenüberstanden. Er sollte zwei Jahre später den Bankrott erklären. Da er Wrieto-San überredet hatte, Aktien seiner Firma als Honorar zu akzeptieren, guckte Wrieto-San, wie man so schön sagt, in die Röhre.
Wenn er abends zu Hause war, umsorgte ihn Mutter Breen. Er aß allein - Braten, Irish Stew, gegrilltes Lamm und Michigansee-Felchen in Sahnesoße -, dann setzte er sich an die Pläne für Taliesin, und im Drama des Schaffens vergaß er oft stundenlang alles um sich herum. Unterdessen plapperte Mutter Breen mit ihrer kratzigen, monotonen Stimme vor sich hin, prägte ihm die Einzelheiten ihres Privatlebens ein, während sie das Fleisch auftrug, den Tisch abdeckte, unermüdlich den Besen schwang, und der Klang ihrer Stimme, ihrer trotz aller Knarzigkeit weiblichen Stimme, war für ihn in seiner momentanen Verfassung tröstend wie ein Engelschor. Sie war Witwe, erfuhr er, eine geborene McClanahan mit Empfehlungen von Monsignor O’Reilly und den Howard Turpetts, bei denen sie zweiunddreißig Jahre in Stellung gewesen war, bis beide auf einer Reise in den Orient von der Cholera dahingerafft worden waren. Ihre Tochter - sie hatte bloß eine Tochter und vier Söhne, die in alle Winde zerstreut waren - hatte sie nur enttäuscht. Jeden Morgen um fünf ging sie zur Messe, um für ihre Tochter und ihre Söhne zu beten und auch für ihn (»Mr. Wright«, pflegte sie zu sagen, und dabei senkte sie ihre Stimme und schrie, anstatt zu brüllen, »ich bete mir für Sie die Knie wund, wissen Sie das eigentlich?«), und dann noch einmal, nachdem sie das Abendessen serviert hatte. Sie schlief auch in der größten Hitze unter drei Decken. »Rheuma«, erklärte sie. »Der Fluch des Alters.« Und dabei sah sie ihn an, als könnte er mit ihr mitfühlen, doch er war nicht alt, noch nicht - im vergangenen Juni war er siebenundvierzig geworden, und er spürte mit jedem Tag, wie seine Kraft und Entschlossenheit in winzigen Schritten wiederkehrten.
Er nahm sie im
Weitere Kostenlose Bücher