Die Frauen
schlief die Nacht durch, ohne ihre Pravaz benutzen zu müssen, und ihre Träume waren lebhaft und plastisch, das Bett unter ihr hob und senkte sich wie die Luxuskabine eines Dampfers auf hoher See, und wenn sie nicht mit der SS Paris fahren konnte, dann wenigstens mit der Empress of China, und mochten die Bauerntölpel in Wisconsin sie auch wie eine Aussätzige behandeln - in Tokio würde sie Mrs. Wrieto-San sein, die kühne, hinreißende Gattin des großen Architekten. Man würde sie bewundern, ihren Stil, ihre Haltung, ihre Pariser Manieren, und vielleicht würde sie sich wieder der Bildhauerei zuwenden, ein eigenes Atelier haben. Das Material war spottbillig, die Kulis - nannte man die nicht so? - erledigten die niedrigen Arbeiten für praktisch nichts, für Yen, für bunte Papierschnipsel. Und das Beste war, dass sie der Engstirnigkeit von Chicago und der Phantasielosigkeit des Lebens auf dem Land entkommen würde.
Edo. Das alte Edo. Den ganzen Vormittag über - es war schon lange nach dem Frühstück - lag sie im Bett und starrte auf die Farbholzschnitte an der Wand, bis sie glaubte, in sie und ihre mit satten Farben gezeichneten Tiefen eintreten und dort leben zu können, in einer Kugel aus unverfälschtem Glück. Und was war all dies - Franks Wandschirme und Vasen und das alles -, wenn nicht eine Vorbereitung auf die Reise ihres Lebens?
Als sie zu Abend aßen, unterstützte sie Frank in allem und bestritt den größten Teil der Unterhaltung, und wenn Frank Hayashi-San umgarnen konnte, so war sie dazu ebenfalls imstande. Als sie sich ins Wohnzimmer vor den Kamin setzten, wollte Hayashi San nicht mehr von ihrer Seite weichen. Seine Augen - so dunkel, dass sie beinahe schwarz waren - waren ständig auf sie gerichtet, auf ihre Lippen, ihre Augen, ihre Zunge, ihre Ohren, ihren Hals, und sie kannte diesen Blick von Hunderten Nächten in den Salons von Paris. Währenddessen saß das Frauchen in einer Ecke wie eine Marionette mit zerschnittenen Fäden, Frank hielt dem Architekten und den ernst nickenden Studenten Vorträge - er sah die Japanerin kaum jemals an, er wagte es nicht -, und seine weißhaarige Mutter servierte persönlich den Tee. Das Victrola spielte eine Schallplatte, aus dem Lautsprecher ergossen sich Streicherklänge in pulsierenden warmen Wellen, die durch den Raum spülten, als wäre das Orchester hier bei ihnen. Hayashi-San sah ihr in die Augen. All die schönen Dinge, die hier versammelt waren, leuchteten im Schein des Feuers. Sie streifte das Schultertuch ab, lehnte sich im Sessel zurück und fühlte, wie sie sich entspannte. Sie würde nach Tokio reisen. Besser noch: Sie war bereits unterwegs.
Kapitel 8
DERU KUGI WA UTARERU
Er war nicht gerade ein Seemann und gab das auch unumwunden zu. Mit einem Dingi, einem Kanu, ja sogar mit einem Segelboot auf dem kabbeligen Lake Mendota kam er gut zurecht, aber das ständige Auf und Ab des offenen Meeres raubte ihm alle Kraft. Und die Tatsache, dass sie gegen Ende des Jahres* reisten, etwa zehn Monate nach Hayashi-Sans Besuch in Taliesin, komplizierte die Dinge natürlich noch weiter. Einen Tag nach ihrer Abfahrt aus Seattle geriet das Schiff in einen Sturm, der aus dem Golf von Alaska heranfegte. Die Decks waren glatt wie ein Eishockeyfeld, und seine Koje - die er nur verließ, um zur Toilette zu taumeln - schwebte für einen schwindelerregenden Augenblick in der Luft wie ein Zauberteppich, um dann, allen Zaubers beraubt, mit einem Ruck wieder hinabzustürzen. Und dann ging es wieder hinauf. Und hinab. Und auf und ab und auf und ab. Er konnte nichts bei sich behalten, nicht einmal Wasser, und wenn es ihm gelang zu schlafen, waren seine Träume durchsetzt mit Bildern der Titanic und der Lusitania, die schwere Schlagseite hatte und auf der Panik und Chaos herrschten. Wenn er dann erwachte, hatte er jedesmal das Gefühl, in einem Faß über die Niagarafälle zu treiben.
* 1916
Miriam war ein Juwel. Die schwere See ließ sie so unbeeindruckt wie einen Harpunier.
Sie nahm pro Tag drei herzhafte Mahlzeiten ein, machte Spaziergänge an Deck, saß bis spätnachts im Salon der ersten Klasse und redete ihm gut zu, etwas Brühe, chinesischen Tee und Brandy (natürlich nur als digestif) zu trinken. Während er Qualen litt, saß sie lange an seinem Bett und las ihm aus einem auf und ab wogenden Buch vor. Sie wusch ihn. Legte ihm kühle Tücher auf die Stirn. Massierte seine erschlafften Muskeln. Sie war fürsorglicher, liebevoller, mütterlicher denn
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