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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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je, doch nur der Gedanke an den Pier von Yokohama unter seinen Füßen vermochte in ihm ein leises Aufwallen von Willenskraft zu erzeugen, ein Fünkchen Energie zu wecken. Es war genauso wie seinerzeit, als er mit Kitty nach Japan gereist war*, oder wie damals, als er mit Mamah den Atlantik überquert hatte. Er war nicht seefest. Er würde nie seefest sein. Wenn es doch nur eine transkontinentale Bahnverbindung gäbe, dachte er, während er elend in seiner Koje lag, und stellte sich eine Brücke über die Beringstraße vor oder vielleicht einen Tunnel durch den Mittelpunkt der Erde. Oder was war mit diesen anderen Wrights und ihrem Flugzeug? Oder mit einem Zeppelin? Wie wär’s mit einem Zeppelin?
     
    * 1905. Bei diesem Aufenthalt in meiner Heimat entdeckte Wrieto-San seine lebenslange Liebe für alles Japanische.
     
    Während der zweiwöchigen Überfahrt gab es Zeiten, da er imstande war, am Zeichentisch zu sitzen und die vorläufigen Pläne durchzusehen, doch es war undenkbar, einen Bleistift in die Hand zu nehmen - nicht bei diesem unerträglichen Rollen und Stampfen. Dennoch konnte er alles noch einmal überdenken. Das zentrale Problem bestand darin, ein Mittel gegen die zerstörerischen Kräfte der Erdbeben zu finden, welche die japanischen Inseln immer wieder heimsuchten. Das war etwas ganz anderes, als auf stabilem Grund in Chicago oder Oak Park zu bauen. Er hatte die Sache mit seinem Sohn John und Paul Mueller - beide begleiteten ihn zusammen mit ihren Frauen, um ihm bei der Einrichtung seines Architekturbüros zu helfen - sowie dem tschechischen Architekten Antonin Raymond erörtert, den er ebenfalls eingestellt hatte. Seine Absicht war, das Gebäude auf eine Reihe von Pfeilern zu stellen** und das Gewicht des Gebäudes auf Kragarme zu verteilen, ähnlich wie ein Ober das Gewicht eines beladenen Tabletts mit der beweglichen Achse einer Hand aufnahm. Die Japaner wollten ein neues, spektakuläres Hotel, um das veraltete Imperial zu ersetzen, das die Deutschen im vergangenen Jahrhundert gebaut hatten. Es sollte Japans Aufstieg in den Kreis der führenden modernen Nationen symbolisieren, und genau das würde er ihnen geben: ein Gebäude, das eine Zierde Japans sein und sich noch in hundert oder mehr Jahren stolz erheben würde, selbst wenn der Rest der Stadt zu Staub zerfallen wäre.*
     
    ** Etwa zweitausend »Finger« aus Beton, wie er sie nannte.
     
    * Das Hotel wurde 1968 abgerissen.
     
    Am Kai wurden sie von Hayashi-San und einer etwa fünfzigköpfigen Delegation erwartet, darunter verschiedene Würdenträger, Mitglieder des Verwaltungsrates des Hotels Imperial, japanische Architekten, Pressevertreter und eine Anzahl eifriger Studenten, die aussahen, als würden sie vor lauter Aufregung, zum möglicherweise erstenmal in ihrem Leben ein weißes Gesicht zu sehen, gleich in Ohnmacht fallen. Eine Kapelle begann ein ihm unbekanntes Stück mit Trompetenfanfaren und einem unregelmäßigen Trommelschlag zu spielen. Man verbeugte sich, tauschte Geschenke aus. Obgleich es auf dem Meer recht kühl gewesen war, fühlte sich die Sonne auf Franks Gesicht unnatürlich heiß an, und er stellte fest, dass er unter dem Mantel, den er sich lässig um die Schultern gelegt hatte, schwitzte. Mit Miriam an seiner Seite, ging er am Begrüßungskomitee vorbei, wobei er sich vor jedem verbeugte und » Ohayö gozaimasu« murmelte. Er war von Selbstvertrauen und Begeisterung erfüllt wie noch nie zuvor. Er war frei, frei von den Skandalen, dem Genörgel und den Wutanfällen seiner Mutter und seiner Tanten, dem Kampf um die Erhaltung von Taliesin und seiner Firma und darum, finanziell über Wasser zu bleiben, und als er sich vor dem letzten Mann verbeugte, einem weißhaarigen Greis in Samuraikleidung, roch er in der Brise, die über die Bucht von Yokohama wehte, eine Spur des würzigen Dufts Japans, eine unbeschreibliche Mischung aus gegrilltem Aal, Räucherwerk und Abwasser, und da wusste er, dass er endlich daheim war.
    Es folgte eine Reihe von Dinners (bei denen gewöhnlich mehr als zwei Dutzend Gänge serviert wurden), formellen Teegesellschaften und zeremoniellen Zusammenkünften mit, wie es schien, der Hälfte der Bevölkerung von Tokio, und die Begrüßungen waren so umfangreich und ausgedehnt, dass er in diesen ersten, berauschenden Tagen kaum Zeit hatte, über das Hotel und die übermenschliche Anstrengung nachzudenken, die nötig sein würde, um es in drei Dimensionen entstehen zu lassen. Nach der Fahrt von Yokohama nach

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