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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zuziehen, wir Nichtasiaten jedenfalls« - sie warf einen kurzen Blick auf den Baron, der über seine Schulter einem der Diener zurief, er solle einen Arzt holen -, »und was er im Augenblick am dringendsten braucht, ist etwas Privatsphäre.« Sie drückte ihm das feuchte Tuch abermals auf die Stirn und sah auf ihn hinab. »Und eine Toilette.«
    Durchfall war keine Seltenheit im Fernen Osten, wo primitive Hygienegewohnheiten seine Verbreitung begünstigten, und Japan war in dieser Hinsicht keine Ausnahme, das war nicht zu leugnen, ganz gleich, wie oft Frank das Loblied auf die Reinlichkeit des Landes und seiner Bewohner sang, auf das Ritual des Händewaschens, die Sauberkeit der öffentlichen Bäder, die Schlichtheit und Klarheit der Tatami-Matten und Kimonos. Rohrleitungen existierten nicht. Wasserspülungen waren unbekannt. Trotz des rustikalen Charmes der Toiletten in Gasthäusern und Privatwohnungen, trotz der Sichtblenden aus Bambus, der Farne, der Keramiken, der Blumen gab es nichts daran zu deuteln: Man hockte über einem Loch im Boden, nicht anders als die Hinterwäldler in den Bergen von Tennessee. Miriam konnte nur von Glück sagen, dass sie bisher verschont geblieben war.
    Der Baron ließ den örtlichen Arzt kommen, der Frank abklopfte, abhorchte, in seine Ohren und seine Nase spähte und schließlich die Diagnose der Krynska bestätigte. Danach schlief Frank beinahe zwei Tage durch, während Miriam in einem Zustand nervöser Erschöpfung an seinem Bett saß und die anderen Ausflüge in das Hügelland unternahmen, den Bauern beim Bestellen der Reisfelder zusahen, Gesellschaftsspiele spielten und die in der Brise flirrenden Kirschblüten bewunderten. Dann ging es zurück nach Tokio, wobei der Fahrer immer wieder anhalten musste, damit der arme Frank sich erleichtern konnte, und dort angekommen, suchten sie den besten Arzt des Landes auf, der Frank abklopfte, abhorchte, in seine Ohren und seine Nase spähte und ihm eine strenge Diät aus Wasser und Reis verordnete.
    Miriam war schockiert. Sie nahm den Mann beiseite und sagte es ihm. »Ist das alles, was Sie unternehmen wollen? Sie verschreiben ihm Reis? Sehen Sie nicht, dass er Fieber hat?«
    Für einen Japaner war der Arzt hochgewachsen. Er hatte den kleinen schwarzen Kinnbart, den sie alle zu tragen schienen. Sein Englisch war rudimentär. Sie standen vor der Schlafzimmertür, umgeben von den Kunstwerken, die Frank gesammelt hatte. »Hai«, sagte er und verbeugte sich. »Reis.«
    »Aber er deliriert, er ist schweißgebadet. Er ... er wacht nachts schreiend auf und redet Unsinn.« Plötzlich hatte sie wieder Thomas vor sich, der als kleiner Junge die Influenza gehabt hatte: die dünnen Beinchen unter der verschwitzten Decke, das an der Stirn klebende Haar, die trockenen, aufgesprungenen Lippen. Sie war sicher gewesen, dass er sterben würde, und dieser Gedanke hatte sie so gelähmt, dass sie nicht imstande gewesen war, ihn zu pflegen oder auch nur anzusehen. Ja, sie hatte nicht einmal an der Tür seines Zimmers Vorbeigehen können, ohne in Tränen auszubrechen.
    Der Arzt sah zu Hayashi-San, der, mit begrenztem Erfolg, als Dolmetscher gedient hatte, legte die Hände aneinander und verbeugte sich. »Durchfall«, sagte er. »Sehr ernst.«
    »Aber wollen Sie ihm denn nichts verschreiben? Irgendeine Behandlung, irgendein Medikament? Sie haben doch Medikamente, oder nicht?« Verzweifelt wandte sie sich zu Hayashi-San. »Medikamente. Was ist das Wort für Medikamente?«
    Hayashi-San verbeugte sich ebenfalls und sagte zu dem Arzt etwas auf japanisch, worauf dieser sich seinerseits verbeugte und wieder Miriam ansah. »Reis«, sagte er.
    »Nur Reis.«
    Als sie etwa einen Monat später von einem Einkauf zurückkehrte - sie fühlte sich inzwischen wie eine echte Japanerin und hatte mit verschiedenen Händlern um einen Wandschirm aus Brokat, die Statue eines Guanyin-Bodhisattvas, an der Frank Gefallen gefunden hatte, und ein wunderschönes, mit Intarsien verziertes Rosenholztischchen gefeilscht -, saß Frank aufrecht im Bett und sah recht zufrieden aus. In den vergangenen Wochen hatte sich sein Befinden gebessert, so dass er nach und nach nicht mehr nur Reis, sondern auch Brühe, Tee und schließlich sogar Nudeln mit Fisch und Gemüse hatte zu sich nehmen können, doch er war reizbar und verärgert gewesen und hatte seinen Vorarbeiter, den Hausdiener, die Diät und die Bauverzögerung verflucht, die sich durch seine Krankheit ergeben hatte, und natürlich seine schlechte

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