Die Frauen
Himmel strahlend blau, die Kirschbäume waren wie Reihen rosiger Wolken, die den Horizont verschwimmen ließen, so weit das Auge reichte, oder sie standen einzeln auf künstlichen Hügeln, wo sie das Licht einzufangen schienen und sich leuchtend von dem stumpfen Grau und Grün der Umgebung abhoben. Die ganze Gesellschaft veranstaltete ein Picknick, der Baron hatte Champagner und Behälter voller Speisen mitbringen lassen. Man zeichnete oder las, lag ausgestreckt auf Matten in der Sonne und unterhielt sich im leisen Plauderton vollkommener Zufriedenheit.
Kurz: Es war ein Idyll. Und Miriam gefiel es, trotz der Anwesenheit von Madame Krynska, der alleinstehenden kleinen Polin, welche die Lubienskys anscheinend allein deshalb mitgebracht hatten, um sie, Miriam, von Frank zu trennen - als würde sie das je auch nur für eine einzige Minute zulassen ... Der Champagner war eisgekühlt, in den Behältern befanden sich nicht Reis und roher Fisch, sondern Gurkensandwiches, und die Diener waren aufmerksam. Sie plauderte gerade mit dem Baron über ihre gemeinsame Vorliebe für alles Französische und bemerkte, wie sehr die Kirschblüten sie an den Frühling in Paris und besonders an die städtischen Oasen erinnerten, an die Tuilerien, den Jardin des Plantes, den Jardin du Luxembourg (und er war von ihr ebenso fasziniert wie zuvor Hayashi-San, beugte sich mit gekreuzten Beinen vor und fixierte sie mit seinen schwarzen Augen, damit ihm nicht eine Silbe entging), als Frank, der in den vergangenen fünf Minuten kein Wort gesagt hatte, unvermittelt keuchte, als hätte er einen heftigen Schlag erhalten.
Er hatte neben ihr oder vielmehr hinter ihr gesessen, in einem Kreis, zu dem auch die Lubienskys und die Gräfin Ablomow gehörten, und Miriam fuhr besorgt herum und sah sogleich, dass mit ihm etwas nicht stimmte: Er schien mit einemmal eingesunken, geschrumpft, seine Haut war bleich, und er hatte die Knie an die Brust gezogen wie ein Kind. Wieder keuchte er, doch bevor sie die Hand nach ihm ausstrecken oder auch nur seinen Namen rufen konnte, sank er zur Seite um, presste die Hände an den Bauch und drehte das Gesicht in das Gras neben der Matte. Zunächst dachte sie, er habe irgendeinen Anfall - erst diese Woche hatte sie einen Brief von Leora erhalten, in dem diese in allen schrecklichen Einzelheiten von den Herzproblemen ihres Mannes berichtete -, und als sie auf den Knien zu ihm kroch, empfand sie schon den Verlust, sah die Zukunft wie eine dunkle, alles überschattende Wolke auf sich zukommen und dachte, dass sie niemandes Witwe sein würde, weil sie niemandes Frau war. Sie zog ihn, bereits in Tränen, an ihre Brust, während er schwache Versuche machte, sie abzuwehren. »Frank, was ist los, was ist denn?«
Er verzog das Gesicht. Er strampelte, wand sich im Gras. Er versuchte, etwas zu sagen, doch sie konnte ihn nicht verstehen.
Die anderen waren aufgesprungen, umringten sie und machten betroffene Gesichter, aber keiner schien zu wissen, was zu tun war. Jemand sagte, es sei eine Blinddarmentzündung, und ein anderer erwiderte, in diesem Fall müsse Frank operiert werden, aber waren sie nicht ein wenig voreilig? Sollte man nicht einen Arzt rufen? In diesem Augenblick trat La Krynska - jung, schlank, blond, in einer Art Sportdress und mit einem Federballschläger in der Hand - in den Kreis und kniete neben Frank nieder. »Er braucht Wasser«, sagte sie. »Und Eis. Hier« - sie erhob sich, tauchte ihr Taschentuch in einen Champagnerkühler und legte es ihm auf die Stirn -, »wie ist das? Tut das gut?«
Miriam spürte, wie ihr der Champagner zu Kopf stieg. Sie kniete auf dem Rasen eines fürstlichen Anwesens in den Bergen über der Ebene von Kanto, und neben ihr kniete diese Polin, als würden sie beide an einem Leichnam beten, an Franks Leichnam, und das war überaus seltsam. Sie war von Angst erfüllt. Von Abscheu. Von Entsetzen. Er würde sterben, dessen war sie sicher.
»Ich brauche ... « keuchte Frank, und sie sah, wie schwach und elend er sich fühlte, wie peinlich ihm alles war. »Ich will ... Wenn mir jemand helfen könnte ... «
»Was, Frank?« hörte sie sich rufen. »Was brauchst du?«
Die Krynska legte die Zeigefinger in die Vertiefungen hinter seinen Ohren und zog dann eines seiner Lider hoch, um das Weiß des Auges zu mustern. Als sie schließlich aufsah, ließ sie ihren Blick über Miriam und die Gesichter der Umstehenden schweifen. »Ich fürchte, er hat das, was wir alle uns hier in Japan irgendwann einmal
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