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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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eine Art sportlicher Wettkampf? Kann ich nicht mal eine Minute stehenbleiben und die frische Luft genießen? Ist das denn so schlimm?«
    Sein Gesicht erblühte in all seiner Komplexität: das verwunderte Stirnrunzeln, Falten, die am Haaransatz begannen, tiefere Furchen in seine Stirn gruben und als Fältchen in den Augenwinkeln ausliefen. Er würde ihr nie Modell für eine Büste sitzen, das wusste sie inzwischen, aber das machte nichts, denn sie hatte andere Dinge zu tun, sie musste ihm helfen, ihn durch die Untiefen der Unbeholfenheit und Taktlosigkeit in den sicheren Hafen der Höflichkeit, der Eleganz und des Benehmens lotsen. Denn trotz all dieser Katzbuckeleien, dieser blumigen Worte und sanften Blicke: Diese Leute waren leicht zu kränken, daran konnte gar kein Zweifel bestehen. Sie würden ihn verschlingen, wenn er ihnen einen Anlass gab. Doch das würde sie verhindern.
    »Bitte, Miriam. Ich habe zu arbeiten.«
    »Ich will eine Zigarette rauchen.«
    Zwei Paare gingen auf der Treppe an ihnen vorbei. Die Männer starrten Miriam unverhohlen an, die Frauen glitten auf ihren lackierten Holzschuhen mit rhythmischen Schritten die Stufen hinauf, so dass das Schwingen ihrer Hüften betont wurde - ihre Fortbewegung war weniger ein Gehen als vielmehr ein Schlängeln, und jede Geste war ein sexuelles Werben.
    »Kannst du das nicht drinnen tun? Die Leute starren dich an. Komm, ich will jetzt gehen«, drängte er sie, und seine Stimme nahm einen verärgerten Ton an.
    »Du magst es doch nicht, wenn ich im Zimmer rauche.«
    Er stieß einen Seufzer aus und griff nach ihrem Arm, doch sie entzog sich ihm.
    »Wenn du ein Gentleman wärst«, sagte sie und sah, wie der Schein der Lampions seinem Gesicht einen leichten roten Schimmer verlieh, so dass es war, als errötete er, »dann würdest du mir Feuer geben. Und du würdest die ganze Nacht hier bei mir bleiben, wenn es das wäre, was ich wollte.« Sie spielte jetzt mit ihm und genoss es. In aller Ruhe holte sie ihr Zigarettenetui hervor und hielt es ihm hin, damit er eine Zigarette herausnehmen und ihr anbieten konnte. Als er sich zu ihr beugte, um ihr Feuer zu geben, murmelte er zweimal resigniert ihren Namen. In Augenblicken wie diesem oder vorhin, im Teehaus, als sie ihm geschickt über die heiklen Situationen hinweggeholfen hatte, oder bei der Prinzessin Tscheremissinow, als sie ihm beigebracht hatte, wie man sich in gehobener Gesellschaft benahm, wie man einer Dame die Hand küsste und dabei murmelte »Enchanté« oder »Je suis desolé de partir«, zähmte sie ihn nach und nach.
    Der Wind frischte auf und ließ die kahlen Zweige der Bäume erzittern und die Lampions schaukeln. Sie ließ sich Zeit und rauchte die Zigarette zu Ende, und dann, erst dann, als sie fertig war, wandte sie sich zu ihm. »Mir wird kühl, Frank«, sagte sie. »Lass uns hineingehen. Und übrigens: Ich möchte, dass du morgen abend, wenn wir zu den Lubienskys gehen, deinen marineblauen Anzug anziehst - keine orientalische Kostümierung. Das schickt sich nicht in der gehobenen Gesellschaft.«
    Dieses erste Mal blieben sie dreieinhalb Monate in Japan. Sie reisten Mitte April ab, als das Wetter mild wurde und die Kirschbäume zu blühen begannen. Gegen Ende ihres Aufenthalts hatte Miriam sich nicht wohl gefühlt. Es war irgendeine Darmstörung, zweifellos zurückzuführen auf die Ernährung - Aal, Seeigel und all dieses Zeug -, und obwohl sie ein-, zweimal ohne Begleitung ein paar wortkarge, stumpfäugige Ärzte aufgesucht hatte, war es ihr nicht gelungen, in ihnen auch nur ansatzweise Verständnis für ihr Problem zu wecken oder so etwas wie Hilfe von ihnen zu bekommen, und so hatte sie ihre Morphiumtabletten rationieren müssen. Die Rückreise war jedoch eine gewisse Erleichterung. Die westliche Küche beruhigte ihre Verdauung, und wer hätte gedacht, dass etwas so Schlichtes wie ein Omelett so wohltuend sein konnte? Und dann natürlich die Weine und das Fleisch. Über das Fleisch fiel sie regelrecht her, sie konnte nicht anders. Filets mignons Lili, sautiertes Hähnchen à la Lyonnaise, gebratene Ente, Täubchen, Sirloin-Steak und die Pièce de résistance: echte pâté de foie gras, serviert auf Scheiben von echter Baguette mit einem guten gelée de vin und einem Sauterne.
    Frank war natürlich die ganze Zeit seekrank, der arme Mann. Reisen bekamen ihm einfach nicht. Besonders auf hoher, wogender See. Sie kümmerte sich um ihn, so gut sie konnte, aber das Schiff war voller Leben, Leute, mit denen sie

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