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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Statuen, und wo La Krynska sich über die Teekanne beugte und, während sie den Deckel mit dem Daumen festhielt, einschenkte.
    Es dauerte einen Augenblick. Franks Blick huschte zu ihr und zuckte zurück. »Miriam, was willst du -?«
    »Ich bringe sie um, Frank«, sagte sie und hob die Pistole. Ihr Finger lag an dem winzigen Abzugshebel, und mit einemmal wallten Gefühle in ihr auf, so dass sie jetzt nicht mehr ruhig war, und auch ihre Stimme stieg höher und höher, bis sie nur noch ein Kreischen war. »Und dich auch! Ich bringe dich um! Ich bringe euch beide um!« schrie sie. »Und mich! Mich auch!
    Natürlich brachte sie niemanden um, am allerwenigsten sich selbst. Aber sie hätte es getan - sie wusste es, sie schwor es -, wenn diese kleine Polin nicht hinausgerannt wäre, wenn Frank nicht aus dem Bett gesprungen wäre und ihr die Pistole entwunden hätte. Aber wie auch immer, es war vorbei. Er war ein Scheusal. Ein Verbrecher. Er liebte sie nicht, er hatte sie nie geliebt, ganz gleich, was er sagte. Und noch bevor sie erfuhr, dass seine Mutter - der alte Drache persönlich - unterwegs nach Tokio war, um ihn zu pflegen, als könnte sie, Miriam, das nicht ebensogut, als hätte er sich nicht schon längst erholt und die Reisdiät und alles andere hinter sich gelassen, zog sie aus.
    Sie verriegelte ihre Tür, packte zwei Koffer - nein, sie würde keine Träne weinen, nicht um Frank - und setzte sich in einen Zug, der sie in die Berge, zu den verblühten Kirschbäumen und irgendeinem Gasthof bringen würde. Sie war in Japan und würde in Japan so leben wie in Albuquerque. Sie würde frei sein von Frank, sie würde ihn los sein, in einem selbstgewählten Exil, ein weißes Gesicht unter all diesen gelben Gesichtern.

Kapitel 9
    DIE ACHSE DER SELIGKEIT
     
    Es regnete stark, als sie dem Mann, der ihre Koffer trug, vom Bahnhof zu dem gedrungenen, aus Holz gebauten Gasthof an der Hügelflanke folgte. Ihre Schuhe waren vom Laufen auf der ungepflasterten, mit tiefen Furchen versehenen Straße, die jetzt, im strömenden, rauschenden Regen, einem Bachbett glich, so gut wie ruiniert, aber das machte nichts. Sollten sie sie doch in die Aschengrube werfen - ihr war das gleichgültig. Sie wollte wie die Eingeborenen leben. Alles Weltliche abstreifen. Sich selbst eine Heimat sein. Und zum Teufel mit Frank. Sie konzentrierte sich auf den Rücken des Trägers, dessen Muskeln unter dem Gewicht der Koffer zuckten und sich anspannten. Das Wasser stömte von seinem Strohhut, der wie ein auf den Kopf gestellter Trichter aussah, und der Hügel wurde immer steiler. Sie setzte einen Fuß vor den anderen und bemühte sich, die tieferen Pfützen zu vermeiden und nur an ein Bett und ein heißes Bad zu denken. Die Straße war menschenleer. Nichts regte sich. Nur der Regen.
    Sie trat über eine Stufe in den Vorraum, klappte den Regenschirm zu und setzte sich auf die Kante einer Bambusbank, um ein Paar der Pantoffeln anzuziehen, die auf einem Regal aufgereiht waren. Es roch nach Holzkohlenglut und o-cha, dem säuerlich-bitteren Tee, den die Japaner literweise tranken. Miriam hatte einen Augenblick Ruhe, bevor eine alte Frau in einem Kimono und zwei sich verbeugende Dienstmädchen erschienen und sie begrüßten, wobei das dünne, starre Lächeln kaum ihr Erschrecken darüber verbarg, dass eine weiße Frau, eine gaijin, vollkommen durchnässt und ohne Begleitung, auf ihrer Schwelle gelandet war. Sie sprachen kein Englisch. Miriam stellte bald fest, dass niemand im ganzen Dorf Englisch sprach, doch sie hätte taubstumm sein können und trotzdem bekommen, was sie wollte. Sie unterlegte die wenigen Brocken Japanisch, die sie aufgeschnappt hatte, mit pantomimischen Gesten - Dözo, heya arimasuka, nemuri, yoku ?* -, zeigte der alten Frau ein Bündel Yen und fand sich innerhalb weniger Minuten in einem winzigen, spartanisch eingerichteten Raum wieder, wo sie sich das Haar mit einem Handtuch abtrocknete, während eines der Mädchen ihr Tee servierte.
     
    * Wörtlich: »Bitte, haben Sie Zimmer, Schlaf, Bad?«
     
    Natürlich war sie erschöpft, die Szene in der Wohnung spulte sich immer wieder vor ihrem geistigen Auge ab wie ein zu einer Endlosschleife montierter Film, doch ihre Pravaz beruhigte sie, und zum Essen, einem perfekt zubereiteten, aus zwölf Gängen bestehenden kaiseki - nach und nach konnte sie dieser Küche tatsächlich etwas abgewinnen, oder war sie bloß ausgehungert? -, trank sie Reiswein und ließ das Geräusch des Regens auf sich wirken.

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