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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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anzusehen, Edwin - so mild und mit so sanfter Stimme, als wäre er ein aus einem englischen Roman hierher transportierter Pfarrer - stand mit niedergeschlagenen Augen und stumm hinter seiner Frau, der breite kahle Streifen auf seinem Kopf leuchtete im Licht von Franks künstlerisch gestalteten Glaslampen. Und Frank - ach, in diesem Augenblick war er ihr verhasst, er war abscheulich, abstoßend, eine unter den Rädern eines Traktors zermalmte Ikone -, Frank hatte sich an den Kaminsims gelehnt, auf dem die mit dem Geld der Cheneys gekauften orientalischen Statuen standen, die Messingbuddhas und aus Elfenbein geschnitzten Figuren, die in keinem kultivierten Haushalt fehlen durften. Er hatte die Arme verschränkt und stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Seine Augen blickten hart und metallisch, sie waren wie zwei Pfeile, mit denen er erst Edwin und dann sie an die geronnene Luft heftete. Und was hatte er gerade gesagt? Mamah und ich lieben uns.
    Lieben uns. Als wüsste er irgendwas von Liebe. Als hätte er nicht ausgiebig auf den Erinnerungen an das, was sie in den vergangenen zwanzig Jahren geteilt hatten, herumgetrampelt und sie mitsamt den Wurzeln herausgerissen, so in Anspruch genommen von seiner Arbeit, von sich selbst, dass er sie kaum noch eines Blickes würdigte und sie wie eine Dienerin und die Kinder wie Fremde behandelte - sie waren nichts weiter als eine Gruppe von Menschen, die ihm Anlass zu Verärgerung gaben.* Liebe? Sie war es, die wusste, was Liebe war, und sie liebte ihn noch immer, gegen ihren Willen und so leidenschaftlich, dass sie am liebsten aufgesprungen wäre und ihm die Haare ausgerissen, die Augen ausgekratzt und ihn verprügelt hätte. Und sie ebenfalls. Auch sie, die Vampirin.
     
    * »Der Architekt überlagerte den Vater in mir, [...] denn ich konnte mich nie an dieses Wort oder an den Gedanken gewöhnen, ein Vater zu sein. [...]Ich hasste den Klang des Wortes Papa.« (Aus: EineAutobiographie) Es steht mir nicht zu, diese Sätze zu kommentieren, aber ich würde alles dafür geben, dieses Wort noch einmal aus dem Mund meines Sohnes zu hören«.
     
    Er war verliebt. Ihr Mann war verliebt. In eine andere Frau, eine Frau, die für sie stets eine besondere Freundin gewesen war. War es eine Offenbarung? Erwartete er, dass sie auf die Knie fiel, sich gegen die Brust schlug und ihre Kleider zerriss? Oder sollte sie das Zeichen des Kreuzes machen und die beiden segnen? Diese Aussage war doch nichts Neues, sie war nicht einmal eine Überraschung. Er und Mamah schlichen nun schon seit Monaten mit aufgesetztem Lächeln herum. In der Öffentlichkeit waren sie diskret, bis auf die Spritztouren, die er mit ihr in seinem knallgelben Wagen unternahm, an dessen Kühlerhaube ebensogut ein großes Schild mit der Aufschrift SEHT HER! hätte befestigt sein können. Aber ihr Mann hatte eben eine Schwäche für Frauen, das war schon immer so gewesen und würde immer so sein, und er hatte sogar eine vernünftig klingende Entschuldigung: Er musste bei den Frauen in der Nachbarschaft seinen Charme spielen lassen, denn die Frauen waren es, die das Geld verwalteten, sie waren es, die so lange herumnörgelten, bis ihre Männer schließlich den Sprung wagten, und was glaubte sie denn, wie er das Geld verdiente, um ihr und sechs Kindern Kleidung, Essen und ein Dach über dem Kopf zu ermöglichen, und ja, ja, es gab Rechnungen vom Gemüsehändler und vom Mietstall und so weiter, was nur ein weiterer Beweis dafür war, wie nötig es war, diese Frauen, diese Kundinnen zu umwerben. Das hatte sie akzeptiert. Sie hatte ihm geglaubt. Ihm vertraut. Sie hatte gehofft, dass er diese Verliebtheit überwinden würde, wie er so schon viele überwunden hatte. Aber jetzt war es zu spät. Jetzt hatte er die Worte ausgesprochen, und es gab keinen Weg zurück.
    Er brach das Schweigen und sagte: »Wir wollten es nicht, wir wollten niemandem weh tun, am allerwenigsten dir, Kitty - oder dir, Edwin. Damit hat das nichts zu tun. Ganz und gar nichts.«
    Mamah mit ihren Katzenaugen und ihren prätentiösen Bewegungen erhob sich unvermittelt, ging zu Frank und stellte sich neben ihn, als wäre sie eine Art Dekoration. Edwin sah abrupt auf. »Womit hat es denn zu tun?« fragte er. Seine Frage war kaum lauter als ein Flüstern.
    Mamah antwortete mit ihrer hohen, flötenden Stimme: »Mit Freiheit.«
    »Freiheit? Der Freiheit, was zu tun?« Edwins Blick ging zu Frank. »Zwei Familien zu zerstören - für ihn? Für diesen Architekten? Für

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