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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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seinen Ton auf, dieses spöttische Geplänkel, das er so mochte, wobei ich mir nur zu gut vorstellen konnte, wie er den ganzen Vormittag lang in Taliesin die Hausangestellten wegen der Vorbereitungen terrorisiert hatte.) Ich merkte, dass ich trotz des emotionalen Aufruhrs, in dem ich mich befand - oder gerade deswegen -, grinste.
    »So, Sie haben es also bemerkt? Tja, weiß ist die Farbe der Ehrwürdigkeit, Sato-San.« Seine Augen funkelten, von der Sonne entflammte Glassplitter. »Und egal, wie weich Ihr Bleistift ist oder wie oft Sie bis zur Erschöpfung arbeiten, dieses Grau, das ich da an Ihren Schläfen sehen, wird verblassen, und eines Morgens werden Sie aufstehen, in den Spiegel schauen und einen orientalischen Weisen sehen.« Er griff nach einer Strähne seines Haars und lachte laut auf.
    Auf dem Weg nach Taliesin wechselte er kaum ein Wort mit mir, sondern widmete sich, ganz der verschmitzte Charmeur, fast ausschließlich meiner Frau. Sie war jung und hübsch, außerdem spielte sie Violine wie ein Engel, eine Kombination, die ihm unwiderstehlich erschienen sein muss. Meine Frau sprach zwar nur mäßiges Englisch, doch Wrieto-San war äußerst liebenswürdig zu ihr, badete sie gleichsam in seinem Charme, so wie er es wohl auch schon mit Nobu Tsuchiura und Takako Hayashi getan hatte.
    Ich starrte aus dem Autofenster, von solcher Nostalgie und Sehnsucht erfüllt, dass es mir schier das Herz brach, und mir lagen hundert Fragen an Wrieto-San auf den Lippen - wie es Wes gehe, ob er von Yen gehört habe, ob es wirklich stimme, dass Herbert geheiratet habe -, und dann zeichnete sich Taliesin vor dem Hügel ab, so golden und kraftspendend, wie ich es im Grau der Wochen, Monate und Jahre im Lager vor meinem inneren Auge gesehen hatte. Nein, noch reicher, noch intensiver. Die Wirkung, die es auf mich hatte, ist schwer zu erklären. Sie ist wohl mit jenem Staunen vergleichbar, jenem Gefühl einer Offenbarung, das viele Menschen verspürten, als sie die Erde zum erstenmal auf Fotos sahen, die vom Mond aus aufgenommen worden waren - als sähen sie plötzlich etwas völlig Neues. Bloß war Taliesin eben nichts Neues. Nicht für mich. Es war mein Heim, mein Ideal eines Heims, wäre die Welt denn ein besserer Ort und regierte die Ästhetik statt der Notwendigkeit. Und der Grausamkeit. Wrieto-San ließ sich gerade über das Violinspiel und über Musik im allgemeinen aus, erzählte, dass Iovanna das subtilste aller Instrumente gemeistert hatte, nämlich die Harfe, und fragte, ob Setsuko wohl so freundlich sein würde - so außerordentlich aufmerksam und entgegenkommend -, ihm und Olgivanna am Abend eine Kostprobe ihres Könnens zu geben. In diesem Moment bogen wir in den Hof ein, und Setsuko schaute vollkommen verwirrt zu mir, in der Hoffnung auf eine Übersetzung. Ich fürchte, ich enttäuschte sie, zumindest zunächst, denn in diesem Moment stürmte ein Gemenge fast vergessener Gerüche auf mich ein und regte mein olfaktorisches Gedächtnis an - die kalte Asche der Kaminfeuer, die hinterste Ecke des Schweinestalls, Kohlsuppe, die liebliche Luft Wisconsins und ein Hauch von dem Giftköder, den die Köchin für die Ratten auslegte -, und wieder überwältigten mich die Gefühle.
    Es folgte eine lange und liebevolle Führung durch das Haus, während der die spätnachmittägliche Sonne all die sakralen Winkel und Ecken belebte, den dramatischen Dialog zwischen Licht und Struktur, den magischen Zusammenfluss von vertikalen und horizontalen Linien. Neben anderen Rückgriffen auf die Vergangenheit rief uns Wrieto-San Laotses Ausspruch in Erinnerung, dass Architektur nicht um des Gebäudes willen existiert, sondern um des Raumes willen, den dieses umschließt, und zwischendurch blieb er immer wieder stehen und hielt uns geistreiche Vorträge über seine neuerworbenen asiatischen Kunstgegenstände. Dann tranken wir zusammen mit Mrs. Wright Tee, die steif auf der Stuhlkante hockte und mich mit ihren Gurdjieffschen Augen betrachtete, als könnte sie mich nicht recht einordnen, ihr Gesicht so düster und verhärmt, wie es in den vergangenen acht oder neun Jahren nur irgend hatte werden können. Sie fragte Setsuko gerade über ihren Musikgeschmack aus - ob es auch japanische Komponisten gebe, für die sie sich interessiere, oder ob sie sich strikt an den westlichen Kanon halte -, da setzte Wrieto-San seine Tasse ab und klatschte in die Hände wie ein Varietédirektor vor seinem Publikum. »Was halten Sie davon, ein bisschen an die

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