Die Frauen
bei Frances werde es auch bald soweit sein. Ihr Lächeln wirkte müde. Und sie wussten es, sie alle wussten es. Oder vermuteten es.
Sie wahrte den Schein, so gut sie konnte, und ging weiterhin regelmäßig zu den Treffen des Nineteenth Century Woman’s Club, hielt aber wachsam Ausschau nach Mamah - und sie konnte noch immer nicht glauben, dass sie, Kitty, es gewesen war, die sich mit dieser Frau angefreundet und sie ihrem Mann, dem Architekten, vorgestellt hatte, in der Annahme, dass sie damit ihren Teil dazu beitrug, Aufträge an Land zu ziehen. Was für eine Ironie - so gnadenlos wie in einem französischen Roman. Hasste sie Mamah mit ihrem Deutsch und Französisch, mit ihrem Collegeabschluss, ihrem überlegenen Getue und ihrer Art, alle herumzukommandieren - oder zu verführen -, Mamah, die immer bekam, was sie wollte, ob es nun um etwas so Triviales ging wie die Festsetzung eines Termins für eine Kartenrunde oder etwas so Bedeutsames wie die Wahl des Architekten, der ihr ein Haus bauen sollte? Ja, ja, sie hasste sie, auch wenn sie versuchte, dieses Gefühl so oft wie möglich aus ihrem Herzen zu verbannen. Sie fuhr fort zu waschen und zu nähen und zu kochen und das Personal zu beaufsichtigen und widmete all ihre Energie den Kindern, die bedürftiger denn je wirkten, als spürten sie, was hinter den Kulissen geschah. Es war nicht zu erkennen, wieviel sie wussten, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als sie - besonders die Kleinen, Llewellyn und Frances - auf eine indirekte Weise auszufragen. Aber in solchen Dingen war sie noch nie geschickt gewesen. Und Frances war intelligent und für ihr Alter - im Herbst wurde sie elf - sehr clever, und Kitty musste vorsichtig sein, wenn sie sich, so beiläufig wie möglich, nach John Cheney erkundigte, ob sie ihn in der Schule gesehen habe, denn es sei ja schon ganz schön lange her, seit die Cheneys zu Besuch gekommen seien, und wie war John denn so, ein guter Junge? Kam nach seinem Vater, nicht? Aber natürlich, ja, er war erst sieben, eigentlich noch ein Baby. So alt wie Llewellyn. Oder nein: eineinhalb Jahre älter. Und warum sollte ein so großes Mädchen mit einem Baby spielen - oder es auch nur bemerken?
Alles war vorläufig, ihr Leben war eine sich entrollende Schnur, die auf die Klinge wartete, und jede Nacht, wenn Frank aus dem Studio kam, das er vom Rest des Hauses abgetrennt hatte, als wäre es ein Bunker, verspürte sie eine überwältigende Erleichterung und Dankbarkeit - und, ja, Liebe. Wahre Liebe. Nicht die Liebe zu einem Objekt oder die Liebe, wie sie in irgendwelchen Büchern geschildert wurde, sondern den tiefen Schmerz des Begehrens, den sie kannte, seit sie mit Sechzehn auf einer Kostümparty in der Kirche seines Onkels Jenkins mit Frank zusammengestoßen war.
Das Thema des Abends war Les Misérables von Victor Hugo gewesen, sie war als Cosette verkleidet gewesen und er als Marius, und ihre Köpfe waren so heftig aufeinandergeprallt, dass sie noch eine Woche lang eine Beule gehabt hatte. Du bist noch zu jung zum Heiraten, hatten alle gesagt, aber er warb um sie mit all seiner unwiderstehlichen Energie, und auch wenn ihre Eltern ihn hinhielten und seine Mutter sich wie eine Harpyie mit ausgebreiteten Flügeln gegen diese Verbindung stellte - sie war Catherine Lee Tobin mit dem flammendroten Haar und den blitzenden Augen, und nichts würde sie aufhalten. Als sie geheiratet hatte, war sie noch keine achtzehn gewesen. Und nun, zwei Jahre vor ihrem vierzigsten Geburtstag, wurde sie verstoßen.
In jenem Jahr - 1909- brachte der Frühling von Ende Mai bis Mitte Juni wolkenlose Tage. Auf dem Land mochten die Farmer sich besorgt den Kopf kratzen, doch in Oak Park mit seinen schattenspendenden Bäumen und den die Häuser umgebenden Rasenflächen, auf denen Vogeltränken und Liegestühle standen, war eine solche Trockenzeit willkommen. Alles schien sich zu verlangsamen. Ladenbesitzer schlossen ihr Geschäft für einen Nachmittag, die Kinder spielten nach der Schule Ball oder gingen schwimmen, Blumen blühten, Zikaden ließen ihr einschläferndes Sirren aus dem Schutz dichten Blattwerks ertönen. Man veranstaltete Picknicks, kochte gemeinsam draußen, warf Hufeisen nach einem Pfahl. In den Gärten schwangen Hängematten träge hin und her, und selbst die Vögel schwiegen in der Schläfrigkeit der Mittagszeit. Eines Nachmittags, als die Jungen irgendwohin gelaufen und Catherine und Frances damit beschäftigt waren, ein Stück zu proben, beschloss Kitty
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