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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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vom Stadtrat zur Würdigung hündischer Heldentaten dort plaziert worden. Wieder brachte ein Schlagloch das Taxi ins Schlingern, und dann war der Hund vorbei. »Die farmacia«, sagte sie und spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. »Fahren Sie mich zur farmacia, zu der ersten, die Sie sehen. Schnell, schnell.«
    Er schien sie nicht gehört zu haben, also wiederholte sie sich. Ein sengender Moment verzischte. Jetzt waren Vögel da, irgendwelche mexikanischen Vögel, die von der Straße aufstoben - Tauben, mexikanische Tauben. »Die farmacia«, sagte sie, und langsam machte sich Verzweiflung in ihr breit, ihre ganze Empörung schwand dahin angesichts der Trostlosigkeit dieser Gegend, dieser Bauern, dieses Fahrers - dabei war er ja wohl sogar Amerikaner, ein offizieller Taxifahrer aus San Diego, mit dem sie sich auf einen angemessenen Preis für die Hin- und Rückfahrt geeinigt hatte, die eine Hälfte zahlbar im voraus, die andere nach der Rückkehr in ihr Hotel auf der Insel Coronado, wo sich jeden Nachmittag ein Seewind regte, der die Hitze ausglich. Mit Bauern kannte sie sich aus. Mit Bauern hatte sie in Paris zu tun gehabt, wo sie abwechselnd mürrisch und schmierig gewesen waren, und in Japan, wo sie sich bis zum Boden verbeugt und dann heimlich über einen gelacht hatten, aber diese Leute hier machten ihr angst. Es war gefährlich hier. Sie spürte es. Sie sah es, sah es mit eigenen Augen. Prostituierte. Trinker. Dieser Mann da - er schwankte, als ritte er auf einem unsichtbaren Esel, und starrte mit roten Dämonenaugen streitlustig durchs Fenster zu ihr herein. Und dort - noch ein Bewusstloser im Dreck, genauso unbeachtet wie der Hund in seinem Fliegenfell. Sie wollte gerade den Mund wieder aufmachen, wollte gerade sagen, sie habe genug, es reiche ihr, er solle sie wieder zurückfahren, weg von alledem, dem Chaos, dem Schmutz und diesem scheußlichen Gestank, da blieb das Auto plötzlich stehen. »Was ist?« fragte sie. »Was ist los?«
    Aber der Fahrer - war er vielleicht Italiener?* - deutete nur hinaus. Es dauerte einen Moment, doch dann sah sie das Schild, schwarze Schrift auf weißem Grund, handgeschrieben: FARMACIA. Sie griff nach ihrer Handtasche und dem Stoffbeutel, den sie mitgenommen hatte, beugte sich zum Vordersitz vor und beherrschte ihre Stimme lang genug, um zu sagen: »Warten Sie hier«, dann stand sie draußen auf der Straße, und die Sonne traf sie wie eine Axt. Fünf Schritte, ein hölzerner Gehsteig, dann die Tür und die Glocke, die ihr Eintreten verkündete, während im selben Moment der Gang einrastete und das Taxi mit quietschenden Reifen und knatterndem Auspuff losraste.
    Sie spürte, wie die Angst sie packte, eine kalte Hand auf ihrem Nacken. Sie würde hier sterben, da war sie sich sicher, vergessen und verloren an einem Ort, wo ihr Französisch ihr ebensowenig nützte wie ihr Südstaatencharme - und ihre Kinder würden es nie erfahren, ihre Freunde, Frank ... keine Nachrufe, kein Grabmal, nichts.
    Es würde ihr wie diesem Hund ergehen, dessen aufgedunsener Kadaver am Straßenrand lag.
     
    * Natürlich lässt O ’Flaherty-San hier seine Phantasie spielen und versucht, die Dinge durch Miriams Augen zu sehen. Ich nehme an, der Fahrer war das, was man einen Chicano nennt, ein Amerikaner mexikanischer Abstammung - oder vielleicht auch, wie mein Spanisch-Wörterbuch es nennt, ein caudillo, ein Mitglied der herrschenden Klasse Lateinamerikas, deren Blut relativ unvermischt geblieben ist, was die hellere Haut erklären würde, allerdings fragt man sich in diesem Fall natürlich, was solch ein Mann hinter dem Steuer eines Taxis verloren hätte. Aber vielleicht war er ja auch wirklich Italiener.
     
    In diesem Moment - als die Tür aufging, die Glocke ertönte und sie wie angewurzelt stehenblieb, während das Taxi entschwand - traten von hinten zwei Frauen mit Mantillas und geflochtenem schwarzem Haar an sie heran, die ihrem Blick auswichen.
    Was wollten sie denn? Sie wollten durch die Tür, das war es, und Miriam stand ihnen im Weg, deshalb warteten sie. Höflich. Respektvoll. Und nun war sie wieder bei klarem Verstand, murmelte eine Entschuldigung (absurderweise auf französisch: Pardon) und ging hinein. Drinnen war es eng und dunkel und - falls das überhaupt möglich war - noch heißer als draußen auf der Straße. Überall standen Glasgefäße, eine Unmenge von Glasgefäßen, darin die verschiedensten Tränke und getrockneten Kräuter, und an der Decke waren bräunliche Bündel von

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