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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Pflanzen zum Trocknen aufgehängt, die modrig, bitter und süß zugleich rochen. Und da war die Theke. Die Theke, hinter der ein Mann stand, der den rückgratlosen Ärzten und Apothekern aus Los Angeles und San Diego vollkommen glich, bis hin zu Brille und Glatze, bloß hatte seine Haut die Farbe des Firnis einer sehr alten Kommode - und was war das da in dem Glas neben seinem Ellbogen, waren das Hühnerfüße? Sie musste an den Laden des Apothekers in Romeo und Julia denken, diesen verrückten Tränkemischer, und wie lautete noch gleich das Wort, das sie jetzt brauchte, das Wort, das sie während der ganzen Taxifahrt eingeübt hatte? Un dormidero, das war es. Un dormidero.
    Doch dann lächelte der Mann hinter der Theke sie an, ein breites, gewinnendes, hilfsbereites Lächeln - hier kann man alles kaufen, Señora, was immer Sie wollen, sagte dieses Lächeln -, und im Nu war ihr das Wort wieder entfallen. Dann sagte er etwas, was sie nicht verstand, wie denn auch, aber der Tenor war klar: Wie kann ich Ihnen helfen?
    Jetzt ging es ihr besser, sie fühlte sich wieder wie ein Mensch - zumindest beinahe -, also straffte sie sich in den Schultern und ging, ebenfalls lächelnd, auf die Theke zu, während sich die anderen beiden Frauen, die ihr gefolgt waren, bei den Gefäßen mit dem geheimnisvollen Inhalt umschauten. Was sie dann verlangte, war in ein einziges Wort gefasst, ein Wort, das sie nicht hatte auswendig lernen müssen: »Morfina.«
    Sie beobachtete seine Augen. »Verstehen Sie mich?«
    Sein Lächeln wurde breiter. Er nickte.
    »Ich möchte«, sagte sie bedachtsam, »morfina.«
    Sie wartete nicht, bis sie wieder im Hotel war - obwohl das zweifellos angenehmer gewesen wäre -, denn sie hatte sich den ganzen Vormittag krank, erschöpft und benommen gefühlt, außerdem war da ihr Magen, sie hatte Magenkrämpfe, und mit ihrer Verdauung stimmte auch etwas nicht, und das konnte auch noch so viel Natriumbikarbonat nicht richten. Der Mann hinter der Theke - der kleine braune Apotheker, der plötzlich zu ihrem besten Freund geworden war - hatte ihr gegeben, was sie wollte, alles, was sie wollte, der einzige einschränkende Faktor war die Zahl der Dollarscheine gewesen, die sie auf die blecherne Verkaufstheke blätterte, denn Dollars hatten hier mehr Gewicht als Pesos (was komisch war, denn Dollar war, soweit sie wusste, ein Nonsenswort, während peso ein Gewichtsmaß bezeichnete, das Maß für die Schwerkraft schlechthin), und sie hatte ihren Stoffbeutel mit einem Dutzend Röhrchen löslicher Morphinsulfat-Tabletten (1/4 gr.) und zehn Röhrchen Diamorphin Hydrochlorid-Tabletten (1/6 gr.) gefüllt. Außerdem besorgte sie sich noch ein paar neue Nadeln, da die Pravaz, die sie in ihrem raffinierten kleinen Etui stets bei sich trug (es sah aus wie ein überdimensionierter Zigarettenanzünder und fasste zwei Röhrchen sowie die Spritze selbst), durch den Gebrauch stumpf geworden und äußerst unangenehm zu handhaben war. Als sie ihren Kauf abgeschlossen hatte, von den beiden Frauen mit ihren Schals verstohlen beobachtet und von dem Apotheker angelächelt, bis sie meinte, ihm müsse vor lauter Lächeln gleich der Kopf platzen, nannte sie ihm ein anderes Wort, das vielleicht sogar Spanisch war - vielleicht aber auch Latein: »Taxi.«
    »Taxi«, wiederholte er, als hätte sie gerade das eine Wort ausgesprochen, das sein Leben vollkommen machte. »Taxi, si«, und dann rief er etwas in Richtung eines unordentlichen Haufens Strohkörbe, wo eine gestreifte mexikanische Decke eine Tür hinter der Ladentheke verbarg. Im nächsten Moment erschien ein Junge mit verschlafenen Augen, warf ihr einen Blick zu und rannte, das magische Wort rufend, auf die Straße hinaus.
    Der Taxifahrer konnte kein Wort Englisch, aber San Diego war kein englischer Name, und die Dollarscheine, mit denen sie sofort wedelte, halfen über alle Übersetzungsprobleme hinweg. Die Sonne hämmerte kurz auf sie ein, dann saß sie hinten im Auto, und alle grinsten - der Apotheker und die beiden Kundinnen, die ihr auf die Straße gefolgt waren, der Junge und der Taxifahrer, ja sogar die Fußgänger, die zufällig gerade vorbeikamen, von allen Seiten wurde mit Hingabe gegrinst. Ihre Tür wurde zugeschlagen, das Auto war eine Tin Lizzie, eine echte Blechkiste, ein Klapperkasten erster Güte und uralt, die erste Limousine, die je gebaut wurde, doch es hatte ein Dach und offenbar auch einen Motor. Das Ding rumpelte und ruckte, als stürzte es einen Felsvorsprung hinab, die

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