Die Frauen
oder nicht? Wenigstens stellte Frank einen Kontakt her - er vermisste seine Familie sicher ebensosehr, wie sie ihn vermisste: Es war das erste Weihnachtsfest ohne ihn gewesen, im Haus freudlose Stimmung, jedes Geschenk und jedes Weihnachtslied ein Trug, jedes Stück Weihnachtsschmuck am Baum belastet durch Franks Abwesenheit. Lloyd war neunzehn, so alt, wie Frank gewesen war, als er in ein Architekturbüro eingetreten war, und hier bot sich für Lloyd die Gelegenheit zu arbeiten und beruflich weiterzukommen, mit seinem Vater zusammenzusein und etwas von der Welt zu sehen - das konnte sie ihm schwerlich verweigern.* Und auch ein anderer Gedanke kam ihr, ein ganz egoistischer Gedanke - wer hätte es ihr vorwerfen können? Lloyd würde ihr Spion sein. Er würde die Mauer des Schweigens durchbrechen, er würde ihre Augen und Ohren sein, die Kluft zwischen ihr und Frank schließen und sie wieder hoffen lassen, denn Mamah war nichts, eine Laune, weiter nichts, und Frank würde nach Hause zurückkehren, das wusste sie. Und Lloyd - wie sollte er ihm, seinem eigenen Sohn, widerstehen? - würde derjenige sein, der ihn zurückbrachte.
* Lloyd Wright, 1890-1978, wurde schließlich selbst ein fähiger und gefeierter Architekt, obwohl seine Karriere vom Ruhm seines Vaters überschattet war. Er war an mehreren Projekten seines Vaters beteiligt (unter anderem am Hollyhock House) und beaufsichtigte diese, entwarf aber auch zahlreiche große Gebäude in eigener Regie. Zu den gelungensten zählen das Samuel Novarro House bei Hollywood und die Wayfarer ’s Chapel in Palos Verdes, Kalifornien. Schon wir Schüler spürten oft die Last von Wrieto-Sans Meisterschaft, und ich kann nur spekulieren, wie groß diese Last für seinen erstgeborenen Sohn gewesen sein muss. Andererseits: Noch nie war Genie leicht zu ertragen.
Lloyd brach Mitte Januar auf, an einem derart grauen, trüben Tag, dass der Himmel ebensogut ein Sargdeckel hätte sein können, so wenig Licht drang hindurch. Sie wusste nicht, wie die Zeitungen davon erfahren hatten, doch am Bahnhof von Oak Park erwartete sie ein Reporter und schob sich zwischen sie und ihren Sohn. Nur ein
paar Fragen, wenn Sie nichts dagegen haben. Nun, selbstverständlich hatte sie etwas dagegen, und die Kinder ebenfalls, die mit traurigen Gesichtern auf dem Bahnsteig standen, während sie ihre Augen abtupfte und Lloyd unter dem Gewicht seiner Koffer schwankte. Sie sagte ihm, er solle ihr aus New York telegrafieren und dann noch einmal, wenn er in Florenz eingetroffen sei, denn das war anscheinend Franks gegenwärtiger Aufenthaltsort, wo er mit seiner Geliebten die italienische Sonne genoss, während seine Familie frierend einen unbarmherzigen Chicagoer Winter durchlebte.
Der Artikel, der am nächsten Tag in der Zeitung stand - FRANK LLOYD WRIGHTS SOHN KÖNNTE ZERBROCHENE FAMILIE WIEDER ZUSAMMENBRINGEN; Fährt auf Bitten des mit Mrs. Edwin Cheney geflohenen Vaters nach Italien -, war eine weitere Verletzung, eine weitere Demütigung in einer nicht abreißen wollenden Reihe. Sie fühlte sich beschmutzt. Als wäre sie die Schuldige. Wie wäre es wohl, sich einen anderen Mann zu nehmen, seinen Körper zwischen den Beinen, seine Lippen an ihrem Hals, ihren Brüsten zu spüren? Sie konnte es sich nicht vorstellen. Sosehr sie es auch versuchte, sie konnte sich immer nur Frank vorstellen, ihren Mann, den einzigen Mann, den sie je gehabt hatte. Doch dann sah sie ihn in Gedanken mit Mamah, und die ganze Szene löste sich in Scham und Schande auf. Sie konnte den Nachbarn nicht gegenübertreten, konnte den Gedanken nicht ertragen, ihnen auf der Straße, in der Kirche, beim Einkaufen zu begegnen oder zu sehen, wie sie ein mitleidiges Gesicht machten oder den Blick abwendeten, als hätte sie eine ansteckende Krankheit, und so verließ sie nicht mehr das Haus.
Im Lauf der Tage und Wochen stellte sie fest, dass sie sich nach und nach an seine Abwesenheit gewöhnte. Der Frühling kroch leise in die Bäume, die Tage wurden wärmer, und die Sonne malte Streifen auf den Rasen. Kitty ging hinaus und grub die Blumenbeete um wie all die anderen Witwen, alten Jungfern oder verlassenen Frauen - irgendwo da draußen musste es Tausende von ihnen geben, Legionen, eine ganze Armee, nur nicht in Oak Park, nicht in Saint’s Rest, wo jede Frau einen Mann an ihrer Seite hatte und alle Kirchenbänke mit den Aufrechten und Wahrhaftigen gefüllt waren.
Und dann war es Juni, die Kinder machten ihre Prüfungen, und die langen,
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