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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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mit seiner schönen Stimme eine Geschichte nach der anderen erzählte: Er schwärmte von der Art, wie das Morgenlicht auf den Olivenbäumen bei Fiesole spielte, beschrieb, wie die Fischer bei Piombino ihre Netze auswarfen, um Sardinen zu fangen, begann spontan zu singen oder erfand für Llewellyn ein Kindergedicht. Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Sie lächelte ein falsches Lächeln, lachte um der Kinder willen, doch Franks Anblick - das lebhafte Gesicht, das allgegenwärtige Grinsen, die Mimik des entspannten, unbußfertigen, zu allem entschlossenen Betrügers - machte sie wütend. Sie würde ihn stellen. Sie war entschlossen. Und sie würde das Zimmer nicht verlassen, nicht einmal, um Llewellyn zu Bett zu bringen - erst wenn sie mit ihm gesprochen hätte.
    Schließlich begann die Runde sich aufzulösen. Die Kinder gingen auf ihre Zimmer, zu ihren Büchern und Hausaufgaben, bis nur noch Llewellyn übrig war. Ihr Jüngster schien verwirrt und fasziniert von seinem Vater, dieser Erscheinung, von der er im Verlauf des vergangenen Jahres so viel gehört hatte. Llewellyn war sechs Jahre alt und mühte sich, seine schemenhafte Erinnerung mit der Realität dieser selbstbewussten, komischen Figur in der Kaminecke zur Deckung zu bringen - wie hätte er nicht verwirrt sein sollen? Er wollte unbedingt die ganze Zeit auf Franks Schoß sitzen, er wollte die Aufmerksamkeit seines Vaters, streichelte ihm Gesicht und Hände und drückte immer wieder den Kopf an seine Brust, wie um sich seiner Gegenwart zu vergewissern. Kitty sah, dass Frank das anstrengend fand, und unter anderen Umständen hätte sie vielleicht eingegriffen. »Hör auf, so ein Theater zu machen«, hätte sie gesagt. Oder: »Solltest du nicht langsam mal zu Bett gehen?« Doch sie sagte nichts. Sie sah nur zu. Bis Frank ihr einen enervierten Blick zuwarf. »Sollte er nicht schon längst im Bett sein?«
    »Ja, das sollte er«, sagte sie, stand aber nicht auf, um Llewellyn wie eine gute Ehefrau und Mutter auf den Arm zu nehmen. Sie machte keine Anstalten, ihren Sohn zu locken oder zu überreden oder auch nur zu lächeln.
    »Ich will aber nicht«, rief Llewellyn. »Ich will hier bei Papa bleiben.«
    Frank stieß einen Seufzer aus. »Warum bringst du ihn dann nicht zu Bett?«
    »Warum tust du’s nicht? Du bist schließlich sein Vater, oder nicht?«
    »Fang nicht schon wieder an«, sagte er, und sie hätte ihm am liebsten ins Gesicht gelacht. Wer war er, dass er ihr sagte, was sie zu tun und zu lassen hatte? Sie war doch diejenige, bei der die Rechnungen landeten, sie war es, die sich um das Haus, die Kinder und seine Mutter zu kümmern hatte.
    »Llewellyn«, sagte sie in scharfem Ton, »ins Bett! Sofort!«
    Der Junge wirkte überrascht - müde, unwillig, aber auch überrascht. Er wollte Widerworte geben, das war deutlich zu sehen, doch der Ton ihrer Stimme warnte ihn. Ganz langsam und mit den Füßen nach Halt tastend, als kletterte er von einem überaus hohen und gefährlichen Gipfel herunter, ließ er sich vom Schoß seines Vaters auf den Boden gleiten und ging mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern zur Tür. »Ich komme gleich nach«, sagte sie sanfter. Sie sah Frank an. »Ich muss noch kurz mit deinem Vater sprechen.«
    Doch Frank hatte sich bereits erhoben und sah sie nicht an, und sie musste ebenfalls aufstehen und ihn am Arm nehmen, damit er bei ihr in diesem Zimmer blieb. »Du wirst mir sagen«, begann sie und versuchte, ihre Stimme im Zaum zu halten, »was hier los ist. Und zwar jetzt sofort.«
    Der Blick, mit dem er sie ansah, war absolut leer. Nicht verärgert oder gar wütend, sondern gleichgültig. »Sobald ich alles geregelt habe, bin ich weg«, sagte er.
    »Weg? Was soll das heißen? Du bist doch gerade erst gekommen.«
    Sie glaubte, Schritte in der Eingangshalle zu hören. Von oben ertönte ein dumpfes Rumpeln. Das Haus tickte und summte, als wäre es ihr ganz fremd, ein Gebäude, in dem sie nie heimisch und glücklich gewesen war.
    Er befreite seinen Arm aus ihrem Griff. »Ich will die Scheidung«, sagte er.
    Sie reagierte nicht. Sie wollte ihm nicht zuhören. Sie wollte nicht hören, was er sagte. »Aber wohin willst du gehen?« hörte sie sich sagen. »Wo wirst du leben?«
    Sein Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an. Sie erkannte, dass er das alles von langer Hand geplant hatte: Er wollte die Trennung, die endgültige Trennung, seine Rückkehr war nichts weiter als ein Täuschungsmanöver, so dass er für die Öffentlichkeit den

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