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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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seine Rückkehr -, alles sein werde wie zuvor.
    »Aber was ist mit Mrs. Cheney?« fragte ein hochgewachsener, unverschämter Bursche aus einer der letzten Reihen. Wer war er eigentlich? Mr. Adler. Der die Story zutage gefördert und sie in ihrem eigenen Haus überrumpelt hatte. Nun, noch einmal würde sie sich nicht überrumpeln lassen, soviel war sicher.
    »Was soll mit ihr sein?«
    »Wenn er zurückkommt - Ihr Mann, meine ich -, wie wird sie sich dann in das Bild fügen?« Hier war er, der Augenblick der Wahrheit. Sie merkte, dass alle Luft holten. Sie blätterten die Notizblöcke um und packten die Bleistifte fester. Das war es, wofür sie gekommen waren.
    Mamah, die angeberische Mamah mit ihrem Tanzsaallachen und ihrer schmalen, mädchenhaften Figur erschien und trippelte durch ihr Bewusstsein, und beinahe hätte Kitty einen Fehler gemacht, doch sie fing sich. »Was Mrs. Cheney betrifft«, sagte sie, und Reverend Kehoe warf ihr einen scharfen Blick zu, den sie ignorierte, »so gebe ich mir alle Mühe, sie aus meinen Gedanken zu verbannen. Sie ist einfach eine Kraft, gegen die wir ankämpfen müssen. Ich hatte nie das Gefühl, dieselbe Luft zu atmen wie sie. Wir hatten es hier schlicht mit einem Vampir zu tun - haben Sie von so etwas schon mal gehört?«
    Das hatten sie. Natürlich hatten sie das. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt mit Vampiren, sie durchstreiften die Gassen, die Bordelle, die schmutzigsten, heruntergekommensten Schuppen nach ihnen, um sie im hellen Licht des Tages zu präsentieren - für Profit. Für eine gute Story. Und hier war sie, die beste Story, die sie sich nur wünschen konnten: Franks einzige Schuld bestand darin, einem Vamp in die Hände gefallen zu sein, und sie, Catherine, Kitty, seine Frau, stand fest und entschlossen hinter ihm.
    Dennoch: Sie war verlassen worden, und sie wusste es. Frank schrieb ihr nicht. Er telegrafierte nicht, er kommunizierte überhaupt nicht mit ihr, obwohl er von dem Zeitungsartikel wissen musste, obwohl er wissen musste, in welche Lage er sie gebracht hatte. Aber offenbar war sie für ihn eine Fremde geworden, nein, schlimmer als eine Fremde, denn Fremden schrieb er ja die ganze Zeit irgendwelche Briefe, in denen es um Geschäftliches ging oder er seine kostbaren Farbholzschnitte zum Verkauf anbot oder diverse nach Maß gefertigte Anzüge oder Hüte oder soundsoviele Quadratmeter Zypressenholz oder einen Sattel für das Pferd bestellte, das er nicht reiten konnte, weil er ja in Europa war. Was hatte sie getan, um eine solche Behandlung zu verdienen? Eine solche Verachtung? Und dieses Schweigen - dieses unerträgliche Schweigen?
    Kurz nach Weihnachten schrieb er schließlich. Der Brief war an Lloyd adressiert, und darin bat Frank ihn, nach Europa zu kommen und ihm bei den Zeichnungen für das Portfolio zu helfen. Lloyd kam sogleich damit zu ihr, denn er war pflichtbewusst und loyal und hatte sich auf ihre Seite gestellt (wie auch die anderen Kinder, und wenn Frank zurückkehrte, würde er sich dieser Konsequenz stellen müssen). Anfangs war sie dagegen. Eigentlich sogar empört. Frank hatte sie verlassen, und nun wollte er ihr auch noch den ältesten Sohn wegnehmen? Was würde als nächstes kommen? Wollte er alle Kinder nach Deutschland oder Italien oder wo immer er war holen und Mamah Cheney zu ihrer Mutter erklären? Nein, sagte sie zu Lloyd, auf keinen Fall, und dann verbrachte sie einen unglücklichen Nachmittag im Bett, abwechselnd damit beschäftigt, ins Kissen zu weinen und an die Decke zu starren. Sie fühlte sich so einsam und verlassen wie noch nie in ihrem Leben und wäre vielleicht für den Rest der Woche im Bett geblieben, wenn nicht Llewellyn gekommen wäre, der eines seiner übel zugerichteten Spielzeuge hinter sich herzog, sie fragte, warum sie eigentlich so traurig sei, und im gleichen Atemzug verkündete, er sei hungrig. »Gibt es bald Abendessen, Mama?« fragte er und war ganz und gar Frank, es war kein bisschen von einem Tobin in ihm - er war Frank, wie er leibte und lebte. »Ich hab nämlich Hunger. Ich will ein Stück Kuchen. Kann ich ein Stück Kuchen haben?«
    Das Abendessen half ihr, sich zu beruhigen, der Anblick ihrer Kinder, die am Tisch saßen und sich über die Ereignisse in ihrem Leben unterhielten, Dinge, für die eine zerrüttete Ehe und der leere Platz am Kopfende des Tisches keine Rolle spielten, und nach einer Weile begann sie die Angelegenheit in einem anderen Licht zu sehen.
    Dieser Brief war doch ein positives Zeichen,

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