Die Frauen
reumütigen Sünder spielen konnte, damit man ihm weiter Aufträge erteilte und ihn wie einen Helden verehrte, anstatt ihn wie den Außenseiter zu behandeln, der er war. »Bei meiner Mutter«, sagte er.
»Bei deiner Mutter? Du willst bei deiner Mutter leben? Bist du verrückt? Hast du den Verstand verloren?«
»Sie verkauft ihr Haus. Sie will nicht mehr hier wohnen. Sie« - und bei dieser Lüge zögerte er -, »sie will wieder aufs Land ziehen, nach Wisconsin. Um näher bei ihren Verwandten zu sein, ihren Brüdern und Schwestern.«Sie schwieg einen Augenblick und versuchte, das alles zu verarbeiten. Es gab hier irgendwo ein Kalkül, eine Algebra der Gefühle, so abstrus wie irgend etwas in den Schulbüchern ihrer Kinder. Wie vor den Kopf geschlagen sagte sie: »Das meinst du nicht im Ernst. Du machst Scherze. Sag mir, dass das alles nur ein grausamer Scherz ist.«
»Es gibt dort ein Stück Land, das sie kaufen will, nicht weit von der Hillside School. Sie hat mich gebeten, ihr dort ein Haus zu bauen« - und hier wiederholte er sich, das sicherste Anzeichen dafür, dass er log -, »damit sie näher bei ihren Verwandten sein
kann. Im Alter. Sie will ein Haus, wo sie ihr Alter verbringen kann.«
Und nun, ganz plötzlich, verstand sie die Gleichung: Finde y, wenn x = Mamah. »Es ist für sie, nicht? Du willst ein Haus für sie bauen, für deine ... deine ...«
»Nur zu, sag es. Nenn sie, wie du willst. Sie ist etwas, das du dir nie im Leben auch nur vorstellen könntest. Es tut mir leid, das zu sagen, Catherine, aber so ist es.«
Sie spürte, wie sich alles in ihr drehte, als wäre sie in eine Mangel geraten, und sie wusste, dass sie errötet und ihr Gesicht hässlich war, heiß und hässlich und hasserfüllt. »Was ist sie denn schon? Ha? Du bist der große Heilige, der große Geist - sag du es mir!«
Er war jetzt ganz ruhig, und diese Ruhe ängstigte sie mehr als alles andere: Sie bedeutete, dass es ihm gleichgültig war, dass er bereits gegangen war. »Es tut mir leid«, sagte er.
Ihre Stimme klang auf einmal schrill. Sie wollte keine Szene machen, sie wollte nicht, dass die Kinder sie hörten, aber sie konnte nicht anders. »Nein, nein. Sag mir: Was ist sie, das ich nicht bin? Sag es mir!«
Das Haus war still. Die Nacht senkte sich herab und legte sich über das Dach wie etwas aus dem urzeitlichen Wald, der einst hier, auf diesem Land, gestanden hatte, als die Indianer ihre Frauen geschlagen und ihren Feinden das Fleisch mit steinernen Messern von den Knochen geschnitten hatten. Er richtete sich auf. Er sah ihr in die Augen. »Sie ist meine Seelenverwandte, Catherine. Verstehst du das nicht? Meine Seel enverwandte.«
Kapitel 4
TALIESIN
Es war das alte Problem: Wie sollte er bauen, was er vor seinem geistigen Auge sah, wie sollte er etwas Schönes errichten, damit die Menschen es betrachten und noch in hundert Jahren bewundern konnten, wenn er nicht zuerst das Geld aufbrachte, damit das Gedachte entstehen konnte? Immer war es eine Frage des Geldes. Vor vielen Jahren hatte er sich Geld von Sullivan* geliehen, um das Grundstück in Oak Park zu kaufen. Zwar konnte er das Haus nicht einfach gegen Catherines Willen verkaufen, doch er war bereits auf eine Lösung verfallen: Er würde es so umbauen, dass sie die Hälfte vermieten und so wenigstens ein regelmäßiges Einkommen haben konnte. Auf diese Weise würde er für sie und die Kinder sorgen, das war seine Verantwortung, und der würde er sich nicht entziehen - niemand sollte sagen können, dass er nicht für sie aufkam, mochten die Leute auch wegen Mamah über ihn herziehen, soviel sie wollten, mochten sie die Nase rümpfen und die Straßenseite wechseln, als wäre er ein Aussätziger. Er würde eben einen Weg finden müssen, Geld aufzutreiben, nicht nur für den Umbau, sondern auch für das neue Haus, das in seinen Träumen und auch in seinen wachen Stunden bereits Gestalt annahm: ein Ort fern dieses Durcheinanders, wo er in Frieden leben und arbeiten konnte, bis Gras über die Sache gewachsen war.
* Louis H. Sullivan war der große Chicagoer Architekt, für den Wrieto-San von 1888 bis 1893 als Zeichner arbeitete und der ihn entließ, weil er nebenbei auf eigene Rechnung Häuser entwarf (obwohl Wrieto-San, großsprecherisch wie immer, behauptete, er habe selbst gekündigt). Jedenfalls war Wrieto-San, wie wir bereits gesehen haben, geschickt, wenn es darum ging, Geld zu leihen, schien sich jedoch mit dem Gedanken an Rückzahlung nicht anfreunden zu
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