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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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auch wenn er es besser hätte wissen sollen. Dennoch - er war ein hochgesinnter, großzügiger und gutherziger Mann. Und er erkannte ein Genie, wenn es vor ihm stand.
     
    * Francis W. Little. Wrieto-San hatte sich 10 000 Dollar von ihm geliehen, um seinen Europa-Aufenthalt zu finanzieren, und ihm den größten Teil seiner ukiyoe als Sicherheit gegeben. 1902 hatte er ein Haus für Little gebaut, einen der wenigen Kunden, die Wrieto-San ein zweites Mal beauftragten: Er ließ sich Northome am Minnetonka-See von ihm bauen, an jenem See in Minnesota, an dessen Ufer das Haus stand, in dem Wrieto San und Olgivanna später verhaftet wurden. So fügt sich eins zum anderen.
     
    Aber Mamah aufgeben? Niemand konnte auch nur annähernd verstehen, was zwischen Mamah und ihm bestand, und ganz gewiss nicht Darwin Martin, der mit trübem Blick über den Esstisch hinweg seine mausgraue Hausfrau anblinzelte, oder Kitty, deren Begriff von Ehe anscheinend nicht über Küche, Wäsche, Kleidung für die Kinder sowie gewisse Blicke und Stimmungen hinausreichte. Die ganze Zeit erfüllte ihn die Sehnsucht nach Mamah mit einem unstillbaren Schmerz, einem steten, brennenden Leid, das so allgegenwärtig und körperlich spürbar war wie der Verlust eines Armes oder Beines: Er konnte nicht vor die Tür treten, er konnte nicht atmen, ohne an sie zu denken, sich nach ihr zu sehnen oder sich um sie zu sorgen, und sobald er das Geld hatte, floh er wieder nach Deutschland, um bei ihr zu sein. Das konnte er natürlich weder Darwin noch Kitty oder irgend jemand anders gegenüber zugeben: Er kehrte nur darum nach Berlin zurück, weil er die Drucklegung des Portfolios überwachen musste - eine mühselige, aber absolut unerlässliche Aufgabe, wenn nicht die Arbeit eines ganzen Jahrs umsonst gewesen sein sollte, und jedermann wusste ja, wie sehr er Schiffsreisen verabscheute.
    Diesmal waren sie diskret. Sie trafen sich in einem Hotel am Tiergarten, wo die Klientel so dezent und zurückhaltend war, wie die des Adlon sich chic und mondän präsentierte. Er brauchte beinahe eine Stunde, um es überhaupt zu finden, und musste in seinem rudimentären und zusehends schlechter werdenden Deutsch Passanten fragen. Stechender Tiergeruch trieb durch die Gassen, und aus der Ferne ertönten Geheul und Gezwitscher. Als er schließlich in die Hotelhalle getreten war und sich an der Rezeption angemeldet hatte, war er so enerviert, so ungeduldig und wütend auf sich selbst - und so lüstern, so verrückt nach ihrer Berührung -, dass er sich erst einen Augenblick lang sammeln musste, bevor er imstande war, dem Pagen in den dritten Stock zu Mamahs Zimmer zu folgen. Es kostete ihn erhebliche Mühe, aus den ungewohnten Münzen ein Trinkgeld für den Mann zusammenzustellen und an die Tür zu klopfen - worauf starrte der Kerl, und was sollte dieses kranke Grinsen, oder war das eine Grimasse? -, doch er schaffte es. Und dann stand sie vor ihm.
    »Frank«, sagte sie, und er sagte ihren Namen, doch er zögerte einen Augenblick, bevor er sie umarmte. Zwischen ihnen war eine Fremdheit, die sie beide spürten, eine Luftigkeit, als hätte das Gebäude keine Wände, als striche der Wind einfach hindurch und als wäre der Himmel über ihnen voller verrückter Wolkenbilder. Sie sah anders aus, ganz anders, ihr Gesicht war gerötet und ihr Haar heller, als er es in Erinnerung hatte ... Während der ganzen Reise über den Atlantik hatte er sich diesen Moment vorgestellt, ihren Duft, wie sie sich anfühlte, den Ausdruck auf ihrem Gesicht und wie sie den Kopf in den Nacken warf, wenn sie lachte. Er hatte sich vorgestellt, wie er sie sofort zum Bett führen würde, doch so war es nicht. Er fühlte sich desorientiert und unsicher. Der Hauch eines Verdachts überkam ihn: Sie hatte einen anderen kennengelernt, natürlich - eine attraktive, sinnliche Frau, die das Banner der freien Liebe schwenkte, allein in einer europäischen Hauptstadt ...
    Was war das erste, das sie sagte? Wie schön, dich zu sehen - ja, natürlich. Du hast mir gefehlt. Du hast mir so sehr gefehlt. Ja, und ihm war es nicht anders gegangen. Aber dann, ganz zusammenhanglos, sagte sie: »Ich habe angefangen, Schwedisch zu lernen.«
    Sie standen verlegen mitten im Zimmer und hielten einander noch immer umarmt, doch nun führte sie ihn zu der Couch und dem niedrigen Tisch, auf dem Blumen, ein Teller mit Sandwiches und eine Flasche Wein standen. »Schwedisch?« wiederholte er. Und dann dämmerte es ihm. »Für Ellen Key?«
    Ihre

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