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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Leora hereingestürmt und rief immer wieder ihren Namen, wie um sie daran zu erinnern, wer sie war, um sie zurückzuholen, denn es kam ihr vor, als wäre sie aus ihrem Körper hinausgetragen worden, als wäre ihr Geist zu irgendeinem verborgenen Plätzchen davongeflogen und als arbeiteten ihre Muskeln ganz von allein. Die Lampe war aus Messing. Sie schepperte und schepperte, wurde zur Glocke, die für die Toten läutete: Bringt eure Toten! Bringt eure Toten! Miriam erinnerte sich später, dass Leora die Arme um sie schlang - sie bändigte - und dass Leoras besänftigende Stimme sich wie Sirup in ihr Ohr ergoss. Und dann saßen sie nebeneinander auf dem Sofa, und der Chinese eilte davon, um zwei Martinis zu mixen, denn dies war ein Notfall, soviel stand fest - die Lampe war kaputt, die Wand zerschrammt und zerfurcht, noch dazu blutbespritzt, und Miriam hatte abgeschürfte Fingerknöchel, die Träger ihres Badeanzugs waren von den Schultern geglitten, das Umschlagtuch verrutscht, so dass ihre Brüste entblößt waren -, doch Miriam schluchzte so heftig, dass sie ihrer Freundin nicht erzählen konnte, was geschehen war. Und als sie es versuchte, die Worte hervorpressen wollte, wurde sie vom Bewusstsein ihrer schmachvollen Situation überwältigt. Frank - der Mann, den sie liebte, ihr Mann - kehrte ihr den Rücken. Eine ganze Weile hielt Leora sie einfach nur und murmelte: »Ruhig, ist ja gut«, und dann kamen die Martinis - der beschlagene Shaker, der zarte Stiel des Glases, die auf einen Zahnstocher gespießte Olive -, und Miriam spürte, wie sich Ruhe auf sie herabsenkte, so wie wenn am Ende einer Theateraufführung der Vorhang fällt.
    Sie nahm den Cocktail und leerte ihn mit zwei großen Schlucken. Tränen trübten ihren Blick. »Frank«, begann sie, »Frank, er -«
    »Du musst jetzt stark sein«, sagte Leora, und konnte man es ihr verdenken, dass ihr erster Gedanke makaber war? »In diesem Alter muss man mit so etwas rechnen ... Ich weiß ja nun wahrlich, wovon ich spreche. Und bei Dwight hat es sich hingezogen, das war das Schlimmste.«
    »Nein, nein, du verstehst das falsch - Frank lässt sich von mir scheiden.«
    Fünf Minuten später stand der Chinese im Blumenbeet und klaubte die Papierschnipsel der zerrissenen Vorladung auf, die sie nach einem zweiten Martini wie ein Puzzle sorgfältig wieder zusammensetzten. Zuallererst, noch ehe sie Frank anrief, da waren sie sich einig, sollte Miriam dem zuständigen Richter schreiben und beteuern - oder vielmehr geltend machen -, dass sie eine Versöhnung wolle, dass sie ihren Mann nach wie vor liebe, dass es sich um eine vorübergehende Trennung handele - nur wegen ihrer Gesundheit, nur bis sie wieder gesund sei - und dass sie nicht im Traum an Scheidung gedacht habe. Leora half ihr bei dem Brief, der schließlich drei maschinengeschriebene Seiten umfasste, und danach ging es Miriam gleich besser.
    Sie stellte fest, dass sie jetzt etwas zu essen gebrauchen könnte - Kalbskotelett, Kartoffelbrei und haricots verts (der Chinese war wirklich ein vorzüglicher Koch) -, dann ging sie ans Telefon. Oder nein, sie griff nach dem Hörer wie nach einer Waffe, einem Schwert, das sie einhändig führen und mit dem sie über zweitausend Meilen hinweg zustechen konnte, um acht Uhr kalifornischer Zeit - zehn Uhr dort, genau die Zeit, wo er im Studio sitzen würde, in seine Entwürfe versunken, es sei denn, er veranstaltete gerade einen seiner Musikabende mit all den ausländischen Schranzen und Speichelleckern, die er um sich geschart hatte.
    Die Telefonistin wählte die Nummer, und Miriams Herz begann zu rasen, während sie auf die Verbindung wartete. Sie hörte ein Rauschen, ein leises mechanisches Summen, und dann kam eine Stimme aus der Leitung - eine Männerstimme -, die sie nicht erkannte: »Hallo?«
    »Ich will Frank sprechen«, sagte sie und wünschte zugleich, sie hätte sich gespritzt, um ihre Nerven zu beruhigen. Sie war schon wieder völlig außer sich, und die Anspannung zerrte an ihr, bis sie das Gefühl hatte, ein zweites Mal den Schock jenes Augenblicks an der Tür zu erleben, als dieser kleine Mann, dieses Stück Abschaum, ihr die Vorladung überreicht hatte.
    »Ja?« sagte die Stimme. »Wer ist da?«
    »Miriam. Seine Frau. Und wer zum Teufel sind Sie?«
    »Äh ... Entschuldigung.« Der Hörer wurde zugehalten, jemand flüsterte etwas. »Einen Augenblick, bitte.«
    Dann kam Frank ans Telefon, und sein Ton war freundlich-knapp und geschäftsmäßig.
    »Ja, Miriam,

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