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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Kopf und Herzen existierte. Wie fern das alles jetzt war. Georgei. Seine Präsenz, die Faszination, die er auf sein Publikum ausübte. Er trat aus den Kulissen hervor wie ein Prophet, drängte seine gebannten Zuhörer, den Schleier zu heben und das Universum als das zu sehen, was es wirklich war, er verblüffte sie mit seiner Musik und seinen hypnotischen Fähigkeiten, doch die wahre Sensation war der Augenblick, in dem die Tänzerinnen sich von der Rampe ins Publikum warfen. Es war eine Frage blinden Vertrauens. Sie wirbelten zu dem immer schneller werdenden Rhythmus herum, stürmten mit einem Mal zum Bühnenrand vor und sprangen blindlings in den Zuschauerraum - und nur ihr Vertrauen verhinderte, dass sie zu Schaden kamen, wenn sie ausgestreckt im Orchestergraben oder einer der vorderen Reihen landeten, inmitten der Herren in ihren feinen Anzügen und der Damen in ihren Abendkleidern. Einen solchen Sprung hatte sie jetzt wieder getan. Für Frank.
    »Wir werden jedes Aufsehen vermeiden«, sagte er, »so wie schon die ganze Zeit. Und man sieht ja wirklich kaum etwas.« Er berührte ihre Wange. »Weißt du, was ich machen werde? Ich werde dir ein paar Kleider entwerfen, mit viel Stoff, Rüschen vielleicht - ich weiß, ich weiß -, aber irgend etwas eben, was deinen Zustand verbirgt. So lange wie möglich. Denn wenn sich das herumspricht ... «
    Aber solche Dinge sprechen sich herum. Und zwar schnell, sie sickern durch, verbreiten sich so unaufhaltsam wie Wasser aus einem Leck in der Leitung, und als man es ihr anzusehen begann, als es sich nicht mehr verstecken ließ, als die Blätter sich verfärbten und von den Bäumen fielen und aus den tiefhängenden Wolken Graupelschauer auf die neuen Fenster und Dächer von Taliesin III niedergingen, da läutete wieder das Telefon. Sie saßen gerade vor dem Kamin, Svetlana, Frank und sie, und lasen einander vor, als der Apparat ein langgezogenes Plärren von sich gab und dann noch eins. Sie schaute zu Frank auf und sah, wie sich sein Blick verschloss und seine Mundpartie verhärtete: Er dachte das gleiche wie sie. Um diese Zeit hatte das Telefon schon lange nicht mehr geläutet - seit dem Sommer nicht mehr, als er die Scheidungsklage eingereicht hatte. Damals hatte es täglich geläutet, immer wieder, und eine Flut von Briefen war gekommen - sie hatte diese Briefe gesehen, adressiert in einer typischen Mädchenpensionats-Handschrift, aus der allerdings Hast und Verzweiflung sprachen, und erfüllt von beklemmenden Liebesschwüren, in eine Ikonologie von Sex und Tod gefasst. O mein galanter Ritter - durchgestrichen - einst galanter - wieder durchgestrichen - niemals galanter Ritter, der Du mich in Dein Bett geholt und dieses Bett in eine antike Barke verwandelt hast, die über das stürmische Meer des Eros fuhr, knapp an der Insel des Thanatos und der Halbinsel der Verzweiflung vorbei, wie konntest Du mich verraten? Mein Vertrauen, meine Hitze, mein Blut, mein Herz? Wie konntest Du? Wie konntest Du?
    Beim dritten Läuten legte er das Buch beiseite und stand auf, um ans Telefon zu gehen. Sie sah zu, wie er in Zeitlupe über den Teppich schlich, wie er den Hörer von der Gabel nahm. Obwohl sie auf der anderen Seite des Zimmers saß, das Grammophon lief und das Feuer sich lautstark an einem Scheit zu grünen Holzes zu schaffen machte, konnte sie die schrille Stimme am anderen Ende der Leitung hören. »Miriam«, sagte Frank, »nein, Miriam, das stimmt nicht«, und dann musste er sich den Hörer vom Ohr weghalten.
    »Du Lügner! Du Heuchler!« Die Stimme schwoll in einer Ekstase der Anklage und des Hasses an. »Haushälterin?! Haushälterin?! Wenn du meinst, dass das irgendwer glauben würde, Frank, du, du -« Die Stimme zitterte, und in dem Schimpfwort, das nun folgte, ballten sich Kummer, Eifersucht und Wut. Und dann ein Kreischen, so nackt und explosiv, als würde die Frau am anderen Ende der Leitung gerade in den Hals gestochen: »Du hast diese Lüge schon verbraucht. Bei mir. Ich war die Haushälterin, Frank, ich!«*
     
    * Das stimmt. Genau den gleichen Vorwand hatte Wrieto-San schon zehn Jahre zuvor benutzt, um Miriams Anwesenheit im Haus zu erklären, ja, er war damals sogar so weit gegangen, einen Vertrag aufzusetzen, in dem ein Monatslohn von 60 Dollar festgesetzt wurde, doch die Sache war zu durchsichtig gewesen. Binnen weniger Tage hatten die Zeitungen den Architekten wegen seiner ständigen Missachtung der Konventionen angeprangert und Taliesin als »Sündennest«,

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