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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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nicht erfunden worden. Sie meldete sich in ihrem Hotel an, machte sich auf dem Zimmer etwas frisch und ging dann gleich wieder hinunter ins Foyer, um ein Taxi zu bestellen (dabei war sie eigentlich so erschöpft und erholungsbedürftig, dass sie eine Woche hätte schlafen können). Als sie am Straßenrand stand und darauf wartete, dass der Portier ihr den Schlag öffnete, geriet ihre Entschlossenheit fast ins Wanken. Doch der Gedanke an die Scheidungsvereinbarung - der Gedanke daran, wie Frank sie zu manipulieren versuchte, indem er alles vor ihr geheimhielt, seinen Betrug, seinen Ehebruch, seine russische Buhle (Paris, o ja, Paris, wie praktisch für ihn) - stählte sie. Jetzt würde es keine Vereinbarung geben. Sie würde niemals unterschreiben - sie würde die Papiere zerreißen und ihm ins Gesicht schleudern. Diesem Mistkerl. Diesem Schwein. Er würde sich wundern - dafür würde sie schon sorgen -, denn die Gewichte hatten sich verschoben, und jetzt war der Vorteil auf ihrer Seite.
    Sie ließ sich eine Straße vom Garfield Arms* entfernt absetzen - es wäre unklug gewesen, näher heranzukommen. Sie war gerade auf dem Weg ins Museum gewesen, das war die Geschichte, die der Detektiv und sie zusammen mit ihren Chicagoer Anwälten ausgeheckt hatten, da hatte sie den Wagen ihres Mannes vor dem Hotel entdeckt, in dem sie früher gelegentlich mit ihm abgestiegen war. Sie hatte dem Chauffeur einen Gruß zugerufen. Ein paar nette Worte mit ihm gewechselt. Und dann, neugierig geworden, hatte sie das Foyer des Hotels betreten, um nach ihrem Mann zu fragen, nur um zu ihrem Entsetzen festzustellen, dass ... und so weiter.
     
    * Ein Anzeichen dafür, dass Wrieto-San versuchte, Diskretion zu üben, wenn nicht gar Irreführung zu betreiben. In den vorangegangenen Jahren hatte er nämlich das Congress in der Michigan Avenue bevorzugt (ein ziemlich gewöhnliches Bauwerk, das 1893 als Nebengebäude zu der gegenüberliegenden, von Louis Sullivan erbauten Festhalle errichtet worden war) - vielleicht deshalb, weil es der Ort war, um gesehen zu werden, denn der pompejanische Ballsaal zog sowohl die Schickeria als auch Chicagos soziale Elite an. Ich selbst bin nie dort abgestiegen, auch nicht in späteren Jahren, als ich es mir ohne weiteres hätte leisten können - während meiner Zeit als Wrieto-Sans Schüler habe ich nur ein einziges Mal in Chicago übernachtet, nämlich als Daisy Hartnett und ich ihre erkrankte Mutter als Vorwand benutzten, um von Taliesin wegzukommen. Das Hotel, das wir damals auswählten, war, milde ausgedrückt, unauffällig. Und um einiges billiger als das Congress.
     
    Der Wind blies ihr ins Gesicht - falls sie sich noch in Kalifornien gewähnt hatte, wurde sie schnell eines Besseren belehrt, denn die Kälte war eine ganz eigene Kraft. Papierfetzen und Abfälle trieben wie Drift vor ihr her, aus den Kanaldeckeln dampfte es, und die Geschäftsleute krümmten sich schier unter dem Gewicht ihrer Schals und Wintermäntel. Sie war in Pelz gehüllt und hatte das zum Knoten aufgesteckte Haar unter einem Turban verborgen, und ihre Absätze trommelten einen martialischen Zapfenstreich auf das Pflaster. Entschlossen marschierte sie die Straße entlang, die Schultern durchgedrückt, den Kopf hoch erhoben. Und alles war genauso, wie sie es geplant hatten - dort am Straßenrand stand das Auto, und da saß Billy, über einer Zigarette zusammengekauert, und schaute sie kummervoll und verlegen an. »Billy«, rief sie und bückte sich, um durch das Wagenfenster hineinzuspähen, »ja, so eine Überraschung! Was machen Sie denn hier? Ist Mr. Wright über Nacht in Chicago?«
    »Ja, Ma’am.«
    Sie sah zu, wie er sich wand - es war klar, auf wessen Seite er war. »Geschäftlich?«
    »Ja, Ma’am.«
    »Tja, ich bin selbst gerade erst zurückgekommen, wissen Sie. Es war schön in Kalifornien, aber mein Platz ist an der Seite meines Mannes. Ich dachte ja, er sei noch in Wisconsin - wie praktisch, dass er hier ist. Vielleicht gehe ich auf einen Sprung hinein und begrüße ihn -«
    Dazu hatte er nichts zu sagen, aber jetzt wand er sich noch mehr. Gut so. Gut. Sollte er nur leiden, dieser Abtrünnige mit seiner falschen Miene und den vorquellenden Augen.
    »- und dann können wir vielleicht alle zusammen zurückfahren, so wie früher.
    Nicht wahr, Billy?«
    Noch immer nichts. Sein Gesicht war reglos. Eine Hand hielt das Steuer, die andere bearbeitete die Zigarette zwischen seinen Lippen. Da die Unterhaltung offensichtlich beendet war

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