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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wieder zu Kräften kommen, oder? Ihrem Kind zuliebe. Und Ihrem Mann zuliebe.«
    Olgivanna konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihr Mann war nun wahrlich der letzte Mensch, den sie sehen wollte, aber woher hätte die Krankenschwester das wissen sollen? Es sei denn, sie las Zeitung. Was sie natürlich tat. Alle lasen Zeitung, und alle wussten, dass Iovanna - Pussy, ihre Pussy* -, das vollkommenste und bezauberndste Baby dieser Welt, ja der ganzen Menschheitsgeschichte, unehelich geboren war, ein illegitimes Kind, ein Bastard, den die Leute verhöhnen und verunglimpfen konnten. Olgivanna las keine Zeitung. Und sie wollte nicht, dass ihr Mann kam. Ihr Exmann. Sie wollte, dass Frank kam, aber Frank arbeitete in seinem Studio, und er hatte ihr versprochen, sie am Abend wieder zu besuchen, aber war es nicht längst Abend? Und warum war es bloß so stickig hier drinnen, warum, warum, warum konnte nicht irgendwer das Fenster aufmachen, wenigstens einen Spaltbreit, einen Zentimeter, egal, Hauptsache, es kam etwas frische Luft herein. »Schwester!« rief sie und versuchte sich aufzusetzen, doch ihr war übel und sie war zu schwach, also ließ sie den Kopf wieder ins Kissen sinken.
     
    * Herkunft des Spitznamens nicht bekannt. Ein montenegrinischer Kosename?
     
    Später - sie wusste nicht, wieviel später, aber es war dunkler geworden, oder? - tauchte die Schwester mit Iovanna auf. Ihrer Tochter. Ihrem Neugeborenen. Dem Licht ihres Lebens, dem Grund für dies alles, für dieses Zimmer mit den Blumen, die Frank geschickt hatte, ein Privatzimmer mit Fenster und Karbolgestank, und für ihre Schwäche. Sie konnte kaum die Arme heben, um das Kind entgegenzunehmen, das kleine Bündel, leicht wie ein Gedanke und zugleich plötzlich schwer, unglaublich schwer, winzige Händchen, die sich zusammenballten und wieder öffneten, und dann spürte sie ein Saugen an der Brust, ein langes süßes Gefühl der Erlösung, das sie aus dem Bett und dem Zimmer in die Nacht hinaus entschweben ließ.
    In ihrem Traum flog sie hoch oben über den schützenden Dächern von Taliesin, das Kind fest in ihren Armen, und dort unten war Frank, er wurde immer kleiner und rief ihr etwas zu, die Hände an den Mund gelegt: Pass auf, gib acht, sei vorsichtig ... Und dann hörte sie ein Geräusch, ein jähes Poltern und Klappern, Getrappel im Flur, Stimmengewirr, aus dem sich eine Frauenstimme erhob, und was war das? »Es tut mir leid, Ma’am« - Alice, ihre Krankenschwester, mit angespanntem Flüstern -, »aber die Besuchszeit ist vorbei.«
    »Seien Sie nicht albern. Gehen Sie mir aus dem Weg!«
    »Es tut mir leid, aber - Dinah, Dinah, kommen Sie bitte mal her?« »Welches Zimmer ist es? Ich verlange, dass Sie mir sagen, welches Zimmer -«
    »Bitte, Madam, bitte, können Sie nicht etwas leiser sprechen? Die Säuglinge sind -Dinah, könnten Sie dieser Dame bitte sagen, dass wir es nicht hinnehmen können -«
    Pussy regte sich, strampelte krampfartig mit den Beinen, während zugleich ihre Augen aufklappten, zwei Lichtpunkte im gedämpften Dunkel des Zimmers. Sie machte kein Theater, noch nicht, lag vorerst nur da und orientierte sich, nahm die Welt wieder wahr. Olgivannas Augen wanderten zur Tür. Die angelehnt war oder vielmehr halb offenstand, denn die Schwestern wollten für etwaige Notfälle in Rufweite sein - aber hier handelte es sich ja wohl nicht um einen Notfall, oder?
    Die Stimmen wurden lauter, vermischten sich, wurden wieder leiser. Eine kurze Step Einlage von Absätzen auf dem Linoleumboden, erneute Proteste, dann verschwanden die Geräusche in die entgegengesetzte Richtung. Obwohl sie sich nicht richtig wach fühlte - es war, als hätte man ihr ein Betäubungsmittel verabreicht, warum bloß kam sie nicht wieder zu Kräften, was war nur mit ihr los? -, erlebte sie einen Moment der Klarheit, in dem ein erschreckender Gedanke sie durchzuckte. Wenn das nun Miriam war? Franks Frau? Miriam. Die Wahnsinnige. Er hatte sie gewarnt, dass Miriam völlig irrational sein könne, unberechenbar und gewalttätig.* Und sie hatte immer noch jenen gequälten Schrei im Ohr, der über die Telefonleitung zu ihr gedrungen war, jenen erstickten, wahnsinnigen, durch Mark und Bein gehenden Protestschrei, der keinem anderen menschlichen Laut glich, den sie je vernommen hatte. Sie zog Iovanna an sich und hielt die Luft an.
     
    * Angeblich hatte Miriam in Paris nach einem Messerangriff auf ihren Exgeliebten kurze Zeit im Gefängnis gesessen, und sie hatte Wrieto-San von

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