Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Stimme klang auch in ihren eigenen Ohren schwach, die Stimme einer Invalidin, einer alten Frau, die im Schaukelstuhl ganz allmählich ihr Leben aushaucht: »Nein, das geht leider nicht. Ich ... ich bade gerade und ... was haben Sie gesagt, wieviel Uhr istes?« »Halb eins.«
    Sie rappelte sich hoch, fühlte sich ausgehöhlt, aschgrau, als wäre nur eine leere Hülse von ihr geblieben. Wo waren ihre Hausschuhe? Ihr Morgenmantel? »Ich muss verschlafen haben, nach dieser langen Reise und der, der -«
    Er sprach laut und deutlich, presste sich an den Spalt, wo Tür und Rahmen aufeinandertrafen. »Haben Sie die Zeitungen schon gesehen?«
    Nein, das hatte sie nicht.
    »Nun, Sie haben für eine Sensation gesorgt. Die Presse ist auf unserer Seite, daran besteht kein Zweifel - und Sie sehen auf den Fotos großartig aus. Sehr damenhaft und attraktiv, sehr leidgeprüft. Und sie haben fast alles abgedruckt, was Sie gesagt haben. Wörtlich.« Er schwieg kurz, und sie hörte, wie er sich anders hinstellte, etwas von der einen Hand in die andere nahm - die Zeitungen, er hatte die Zeitungen mitgebracht.
    »Sie müssen sich das anschauen«, sagte er, oder nein: krähte er mit triumphierender Stimme. »Wollen Sie nicht aufmachen?«
    Sie antwortete nicht. Ihr krampfte sich wieder alles zusammen, und sie dachte, dass sie etwas zu essen brauchte, ein weiches Ei, einen Toast oder auch eine Tasse Kaffee, egal, was, denn ihr war nicht gut, ihr war gar nicht gut, und ihrem Gefühl nach hätte zwischen Bett und Tür leicht ein Kilometer liegen können. Er scharrte mit den Füßen, rüttelte am Türgriff. »Mrs. Wright? Miriam? Sind Sie noch da?«
    »Ja, ich bin noch da.« Die Zeitungen. Sie war in der Zeitung.
    Er sagte irgendwas von einem Treffen - bald, so bald wie möglich, denn jetzt komme es auf jede Minute an, man müsse das Eisen schmieden, solange es heiß sei, und dergleichen mehr, doch sie hörte nicht zu. Es ging noch eine Weile so weiter, mit angestrengter Stimme sprach er durch den Türspalt zu ihr, und das meiste nahm sie nicht auf, aber das war egal. Sie war in der Zeitung. Und dann traten seine Worte wieder klar hervor, seine Abschiedsworte, aufwühlend, erlösend, rachedurstig: »Denn wir werden auf Unterhalt und volle Übernahme der Anwaltskosten klagen, und ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass wir gewinnen werden. So wie die Dinge jetzt stehen. Nachdem Sie einen solchen Auftritt hingelegt haben.«
    Als er weg war - seine Schritte verhallten im Flur wie die eines flüchtigen Engels, ihres Engels, Mr. Harold Jackson, Rechtsanwalt -, raffte sie sich auf und ging zur Tür. Sie spähte durch das Guckloch, horchte einen Moment, um sicherzugehen, dass niemand da war, dann entriegelte sie die Tür, bückte sich und hob die Zeitungen auf. Es war alles genau so, wie er es gesagt hatte. Sie las jeden der Artikel zweimal und starrte lange auf ihr Bild - sie sah wirklich charmant und traurig aus, außerdem très chic, sie musste das ausschneiden und Leora schicken -, dann bestellte sie sich ein Frühstück aufs Zimmer und begann zu überlegen, was sie auf ihrer nächsten Pressekonferenz anziehen würde.
    Fünf Tage später erschien eine ganz andere Sorte Artikel in der Presse, eine schlichte Geburtsanzeige, die in den Rang eines Aufmachers erhoben worden war, und Miriam wusste nicht einmal davon, sie bekam ihn erst am späten Nachmittag zu Gesicht, und auch dann nur, weil Leora sie aus Los Angeles angerufen hatte. Und dann hatte ihre Tochter Norma angerufen. Und dann Mr. Jackson. Und dann ein Mann von der Presse, der eine Reaktion von ihr wollte, doch mittlerweile hatte sie sich sowohl die Tribune als auch die Daily News besorgt, und sie unterbrach die Verbindung und ließ den Hörer neben der Gabel liegen.
    Als Leora anrief, war sie gerade dabei gewesen, ein spätes Mittagessen zu sich zu nehmen oder ein frühes Abendessen, wie auch immer, und vorher war sie ein bisschen in der Eiseskälte spazierengegangen, in der Hoffnung, durch die Bewegung einen klaren Kopf zu bekommen, doch statt dessen war sie völlig entkräftet ins Hotel zurückgekehrt und hatte sich zu einem Nickerchen hingelegt, das Stunden gedauert haben musste. Sie war erschöpft, erschlagen, fühlte sich elend. Weil sie nachts nicht gut schlief. Und nicht richtig aß. Und so saß sie denn in ihrem Zimmer und starrte stumpf auf einen Teller suprême de volaille mit gedämpften Karotten, als Leoras Anruf durchgestellt wurde.
    »O Liebes«, stieß Leora hervor und

Weitere Kostenlose Bücher