Die Frauen
Blatt feinstes Büttenpapier samt den zugehörigen Umschlägen verbraucht, und gerade erst an diesem Morgen hatte sie im Schreibwarenladen angerufen und noch einmal hundert Blatt bestellt, diesmal mit ihren eingeprägten Initialen: MMNW, Maude Miriam Noel Wright. Sie hatte schon zweimal aufstehen müssen, um sich das zweite Glied ihres Mittelfingers mit Handcreme einzureiben, denn dort bildete sich langsam Hornhaut, als wäre sie eine Büropflanze, eine Sekretärin mit abgekauten Fingernägeln oder ein bleicher Anwaltsgehilfe, der nie das Tageslicht sah, doch sie fühlte sich stark, und ihre Hand zitterte kaum. Sie hatte sich das Frühstück aufs Zimmer kommen lassen - Kaffee und ein süßes Brötchen, mehr nicht - und dann mit Hilfe der Pravaz ihre Schultern entspannt und die Hände für ihr Tagwerk gelockert.
Sie schrieb Briefe - böse, verleumderische, denunzierende Briefe -, und zwar an alle nur erdenklichen Personen, die irgendein Interesse an ihrer Lage haben könnten. Sie schrieb an die Gläubiger ihres Mannes, an die Bank von Wisconsin, an all seine Auftraggeber - ehemalige, derzeitige und künftige -, an die Zeitungen, ihre Anwälte und an ihn, vor allem an ihn. Er sei ein Schuft, ein Betrüger, das solle jeder wissen - so weit sei es gekommen, dass sie aus dem Koffer leben müsse wie ein x-beliebiger Handelsvertreter, während er mit seiner Ballettänzerin im Luxus schwelge. Ihre Rechnung sei seit über zwei Monaten offen, weshalb sie an der Rezeption mittlerweile unverschämte Blicke ernte - dass sie, seine rechtmäßig angetraute Frau, solche Blicke ertragen müsse, sei unerträglich. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Dane County Superior Court ihn verpflichtet habe, für ihre Anwaltsgebühren und Kosten des täglichen Bedarfs aufzukommen, solange sie die Scheidung anfechte, und er diese Verpflichtung in keinster Weise erfülle. Ja mehr noch, schrieb sie, man drohe ihr, sie vor die Tür zu setzen, wenn ihre Rechnung nicht beglichen werde, und wo solle sie dann hin?
Sie war dabei, ein dringliches Gesuch an den Gouverneur von Wisconsin zu verfassen, und sann gerade über eine Frage der Wortwahl nach (konnte sie ihren Mann als »Schurken« bezeichnen, oder war dieser Ausdruck zu altmodisch? Eigentlich hätte sie ihn am liebsten einen »Scheißkerl« genannt, denn genau das war er, ein Scheißkerl und ein Schwein, aber eine Dame ihres Standes ließ sich natürlich zu solch einer Ausdrucksweise nicht herab, jedenfalls nicht in einem Brief an den Gouverneur), als das Telefon läutete.
Es war ihr Anwalt, Mr. Fake. »Mrs. Wright, sind Sie es?« Er hatte eine tiefe, bedächtige, sehr vertraulich klingende Stimme, wie geschaffen für geheime Absprachen.
»Ja, erwiderte sie, »am Apparat«, und sie konnte sich eine gewisse Schroffheit nicht verkneifen, »und es geht mir so gut, wie das unter den gegebenen Umständen möglich ist. Die Blicke, die ich ertragen muss -«
»Genau deshalb rufe ich an. Auf der gegnerischen Seite bewegt sich nichts, aber auch gar nichts, wir stecken vollkommen fest, aber ich glaube, ich wüsste da eine Lösung ...«
Sie hielt die Luft an. Das war genau das, was sie hören wollte - Taktik, Bewegung, Aktion, die Sammlung ihrer Truppen zum Angriff. »Ja?« sagte sie.
»Ich sehe keinerlei Grund, warum Sie in einem Hotel von der Hand in den Mund leben sollten, wo Taliesin doch weiterhin gemeinschaftliches Eigentum ist. Taliesin ist nach
Recht und Gesetz Ihr Zuhause, und ich bin überzeugt, wenn Sie wieder dort einziehen würden -«
»Dort einziehen?« Allein der Gedanke brachte sie auf: die nach Kuhfladen stinkenden Weiden, die tristen Ausblicke auf noch mehr Weiden voller Kuhfladen, die Bauerntrampel, die Insekten.
»Ich denke einfach, dass es die Sache beschleunigen könnte.« »Aber er ist doch dort. Mit ihr.« »Eben.«
Mit einemmal stieg das Bild von Taliesin so unmittelbar vor ihr auf, als hielte man ihr ein Foto vor Augen. Dieser gelbe Bau auf dem Hügel - oder der aus dem Hügel gewachsene Bau, wie Frank es in seiner prätentiösen, damenhaft-gespreizten Diktion ausdrücken würde -, dieser Palast, dieses Monument für ihn selbst. Oh, die Idee gefiel ihr zunehmend besser. Er konnte nicht einfach nach seinem Gutdünken über Taliesin verfügen - es gehörte ihnen beiden. Zu gleichen Teilen. Genau das bedeutete nämlich »gemeinschaftliches Eigentum«, so war es definiert. Sie war bislang bereit gewesen, ihm die Nutzung von Taliesin zu überlassen, bis der Wert des
Weitere Kostenlose Bücher