Die Frauen
durchlässige Dach, die primitiven Möbel, kein Strom, kein Wasser, keine Scheibe für das einzige Fenster und nirgends etwas Schönes, etwas fürs Auge. »Sagen Sie ihm, dass ich das Huhn kaufe«, sagte er.
»Sie? Was wollen Sie denn damit anfangen?«
»Sagen Sie es ihm einfach.«
Das Geld, ein paar Münzen nur, wechselte den Besitzer, und er spürte die bebende Hand des Mannes ganz leicht an seiner. Dann hielt er das Tier, dessen Augen verbunden waren, in den Händen, fühlte die runzligen Reptilienfüße an seinen Fingerknöcheln - es war ein jämmerliches Exemplar, ein Kümmerer, halb so groß wie die Hühner in Taliesin -, und er versuchte sofort, es wieder zurückzugeben, reichte das warme Bündel über den verschwitzten Hals des Pferdes nach oben, doch der Mann wollte es nicht nehmen. Er hob bloß die gespreizte Hand, nickte und lenkte das Pferd wieder auf die Straße.
Früh am nächsten Morgen, noch ehe die Sonne aus dem Meer aufgestiegen war, um die Schatten zu kappen und die Hütten in den Bergen zu beleuchten, nahm Frank mit Olgivanna und den Kindern das Schiff nach Hause.
Und so musste sie eine weitere Reise durchstehen, diesmal nach der umgekehrten Logik, sie stahlen sich nicht fort, sondern hin, das Meer wechselte von einem zartem Türkis zu einem bläulichen Grün und schließlich zu einem tiefen metallischen Grau, während sie in den Winter zurückdampften und Svetlana sie mit endlosen Fragen löcherte - »Wo fahren wir hin, Mama? Zu Onkel Vlada? Was glaubst du, wo wir gerade sind? Krieg ich was Süßes?« -, und dann kam der hämmernde Kopfschmerz der über die vereisten Schienen nach Spring Green, Wisconsin, donnernden Stahlräder: Die Richardsons reisten, als wäre es ihr Beruf.
Oder ihr Schicksal. Am Bahnhof erwartete sie ein Wagen. Die vertraute Straße. Der Fluss, die Brücke, der See. Der lange Federstrich der Mauern, der Schwung der Dächer. Waren sie daheim? Waren sie wirklich daheim?*
* Wrieto-San war ein wahrer Apostel des Heims, seine revolutionären Präriehäuser waren alle um einen zentralen Kamin herum erbaut, und die Zimmer gingen offen ineinander über, um einen gemeinschaftlich familiären Raum zu schaffen. »Ein wirkliches Heim ist das vornehmste Ideal des Menschen«, so sein berühmter Ausspruch aus seiner Autobiographie (allerdings ergänzte er diese Maxime - schizophrenerweise, muss man wohl sagen - durch die Worte: »und dennoch - der Freiheit halber bat ich um die Scheidung«).
Zuerst verspürte sie Erleichterung, denn das Innere des Hauses tat sich mit den vertrauten Gerüchen vor ihr auf - Messingpolitur, das Wachs, das Frank für die Holzteile benutzte, Leinöl, der säuerliche Geruch der kalten Asche, die die ganze Zeit ausgebreitet im Kamin gelegen hatte, und nach wie vor ein kaum merklicher Brandgeruch von den verkohlten Überresten unter den Böden -, dann ihr Bett, ihre Sachen, die Küche mit ihrer Verheißung von selbstgekochtem Essen, von Brot, Kuchen und Plätzchen, solchen Plätzchen, wie sie sie mit Dione, Sylvia und Nobu gebacken hatte, doch als sie am nächsten Morgen aufstand, spürte sie nur noch die Schwere, die auf allem lastete. Mrs. Taggertz kam wieder, um für sie zu kochen, ein Rumpfpersonal schlurfte durch die Flure. Sie verbrannten grünes Holz. Nichts war, wie es sein sollte. Sie hätte am liebsten das Heft in die Hand genommen, aber sie war schwach und und krank, und die Welt schien alle Farbe verloren zu haben. Und Frank - Frank war auch nicht auf der Höhe, er schlich wie ein Einbrecher durch sein eigenes Haus und spähte immer wieder aus dem Fenster, als rechnete er damit, dass jeden Moment ein Kordon von Sheriffs, Marshals und FBI-Agenten die Auffahrt heraufkommen würde. Was nützten all die Fenster, was nützte die schönste Aussicht, wenn man sich dadurch bloß schutzlos ausgeliefert fühlte?
»Niemand darf dich sehen«, sagte Frank am Tag ihrer Ankunft, »so lange, bis das alles geregelt ist«, und daraufhin entschwand er, um sich mit seinen Anwälten zu beraten.
Und dann kam ein Morgen im April, als die Sonne über die Südflanke des Hauses kroch, die Steinplatten im Hof wärmte und Olgivanna sich einen Stuhl unter die erwachenden Eichen stellte, um Svetlana etwas vorzulesen. Wenn ihre Tochter schon nicht zur Schule gehen konnte - denn auch sie durfte nicht gesehen werden -, dann wollte Olgivanna ihr doch auf ihre eigene Weise Bildung vermitteln. Und so standen täglich Tanz, Kunst und Musik sowie die Lektüre bedeutender Werke
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