Die Frauen
aus Franks Bibliothek auf dem Programm - die amerikanischen Dichter, Wilhelm Meister, Der Mann ohne Vaterland, Victor Hugos Der Glöckner von Notre Dame -, durch die sie beide ihre gesprochene und geschriebene Sprache verbesserten. Und Svetlana war ein wahrer Engel, sie machte wunderbar mit, schien wirklich lernen zu wollen. Oder vielleicht langweilte sie sich auch nur. Wer hätte es ihr verübeln können? Auch sie spürte die Anspannung - sie alle warteten auf etwas Undefinierbares, einen Moment der Erlösung, der nicht kommen wollte.
Die Haushälterin hatte ihnen gerade zwei Tassen heiße Schokolade gebracht, auf dem Hang hinter ihnen grünte das Gras, und überall waren Vögel, deren Zwitschern und Pfeifen das ewige Geklopfe von den Bauarbeiten am anderen Ende des Hauses übertönte. Frank war irgendwo da drüben bei Billy Weston und den anderen, mit hochgekrempelten Ärmeln, in der Hand einen Hammer. Sie reichte Svetlana das Buch. »Jetzt du - hier, lies die letzte Strophe.«
»>Die Luft webt selbst hier ihr Gedicht««, begann Svetlana mit leiser, hauchiger Stimme, »>gefasst in sanfte stumme Silben ! Verzweiflung zeigt nun ihr Gesicht ! die lang -<«
»Ja«, sagte sie. »Mach weiter.«
Aber Svetlana blickte nicht mehr in das Buch. Die Zunge im Mundwinkel, starrte sie über die Schulter ihrer Mutter. Als Olgivanna sich umdrehte, sah sie einen Fremden mit einer überdimensionierten Umhängetasche in großen Schritten die Auffahrt heraufkommen, als hätte man ihn eingeladen, als gehörte er hierher, und ihr erster Gedanke war, dass das einer von Franks Anwälten sein musste, aber welcher Anwalt würde eine Hose tragen, die so eng war wie die eines Halbwüchsigen? Oder eine Weste mit großen Tupfen? Oder keinen Hut?
»Olga«, rief er mit einer Stimme, die herzlich und gewinnend klingen sollte, der Stimme eines versierten Kundenwerbers, und seine Lippen verzogen sich zu einem mechanischen Lächeln, während seine rechte Hand in einer simulierten Begrüßungsgeste über der Schulter hin und her wedelte. Ehe sie aufstehen konnte, war er schon bei ihnen angelangt. »Bleiben Sie ruhig sitzen«, sagte er augenzwinkernd, achselzuckend, an seinen Ärmeln zupfend, »ich brauche nicht lange.«
Sie setzte ihre Tasse ab. Ihre Hand wanderte zu ihrem Haar. Was war das für ein Mann? Ein Vertreter? Ein Schaulustiger? Und woher kannte er ihren Namen?
All diese Fragen klärten sich im nächsten Moment. Er wühlte in seiner Tasche wie ein irrer Briefträger, und sie sah, dass er zitterte - seine Hände bebten, und in seinen Schultern hatte sich ein Zucken festgesetzt -, bis er schließlich einen Stapel Zeitungen hervorzog und ihr in den Schoß legte.
»Wallace ist mein Name, von der Trib. Haben Sie die hier schon gesehen?«
Sie schaute zu ihrer Tochter hinüber, aber von Svetlana kam nichts. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, wie ihre Wangen glühten vor Scham, denn genau das empfand sie - Scham. Die Zeitungen datierten vom November und Dezember - OLGA AUSWEISEN? UNMÖGLICH, BEHAUPTET WRIGHT -, und dann war da noch eine neuere Nummer vom Februar, so gefaltet, dass ein viertelseitiges Foto zu sehen war, das sie im Seidenkleid und mit ihren Filigranohrringen aus Platin zeigte, den Blick von der Kamera abgewandt, als hätte sie etwas zu verbergen, und die Bildunterschrift lautete:
ANGEKLAGT. Darunter, in kleineren Buchstaben: Olga Milanoff, zu der sich Frank Wright seiner Frau zufolge geflüchtet hat.
Frank hatte sie die Zeitungen nicht sehen lassen. Sie würden sie nur aufregen, hatte er gemeint. Das Ganze sei nicht der Rede wert. Werde sich von selbst erledigen. Nicht der Rede wert. Dabei wurde sie hier regelrecht vorgeführt. So dass alle sie begaffen und verlachen konnten. Wie eine missgebildete Jahrmarktsattraktion.
»Was wir wollen«, sagte der Mann gerade, »ist Ihre Version der Geschichte.«
WRIGHT ENTZIEHT SICH AMERIKANISCHEM GERICHTSVERFAHREN, BEHAUPTET EHEFRAU. Architekt angeblich mit russischer Tänzerin zusammen.
Er kaute Kaugummi, und seine Zähne zermahlten die Überreste eines Lächelns.
»Haben Sie irgend etwas zu sagen? Eine Stellungnahme?«
Kapitel 6
MIRIAM ANTE PORTAS
Die Fenster waren aufgerissen, um die Sonne hereinzulassen, die Vorhänge bauschten sich in der milden Brise, die vom See heraufkam, und Miriam saß sehr aufgeräumt, sehr zufrieden an dem Sekretär, den ihr das Hotel zur Verfügung gestellt hatte, und schrieb. In der vergangenen Woche hatte sie fast hundert
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