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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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er unwillig auf. Er hatte es sich entschieden verbeten, von den Kindern, insbesondere von brüllenden, rot angelaufenen Säuglingen, bei der Arbeit gestört zu werden, denn wie sollte er ihrer aller Lebensunterhalt verdienen, wenn er ständig unterbrochen wurde, nur weil Svetlana sich das Knie aufgeschürft hatte oder das Baby Blähungen hatte?* »Was ist denn jetzt schon wieder los?« wollte er wissen.
     
    * Wrieto-Sans Klagen über das Chaos, das die sechs Kinder, die er mit Catherine hatte, veranstalteten, sind legendär. Obwohl er ständig von der Heiligkeit der Familie redete - sie war ein zentrales Element seiner Philosophie, genau wie sein fester Glaube an geistige Unabhängigkeit, Pioniergeist und den Grundsatz »Leben und leben lassen« -, scheint er die Sorte Mann gewesen zu sein, die das Familienleben eher auf der abstrakten als auf der konkreten Ebene zu würdigen wusste. Doch welcher Mann wäre nicht - zumindest gelegentlich - zutiefst ernüchtert gewesen angesichts seiner besorgten Frau, der nächtlichen Schreckensmomente und des Windeleimers, ganz zu schweigen von dem ausdrucksvollen Gebrüll und den systematischen Zerstörungsakten eines heranwachsenden Kindes?
     
    »Was los ist?« gab sie zurück, während Pussys Geschrei das Register wechselte und dann abbrach, als die Kleine einen hellen, säuerlich riechenden Breiklecks auf die Schulter ihrer Mutter spie. »Hast du mal aus dem Fenster gesehen? Es ist diese Frau.
    Deine Frau. Miriam. Sie ist hier« - sie spürte, wie die Absonderung des Babys warm durch den Stoff ihres Kleides sickerte, es würde gewaschen werden müssen, und Pussys Kleid ebenso - »vor dem Tor. Mit, mit, ich weiß nicht - Reportern! Jedenfalls sehen sie aus wie Reporter.«
    Er stand nicht vom Schreibtisch auf, bot ihr nicht an, ihr das Baby abzunehmen, machte sich nicht einmal die Mühe, den Kopf zu drehen und aus dem Fenster auf die sanft abfallende Rasenfläche hinauszuschauen, die sich zu See und Wiese und dem Tor hinunterzog, wo all die Autos standen. »Ich bin mir der Lage bewusst«, sagte er leise.
    Der Lage bewusst? Sie war verblüfft. Und obwohl sie fraglos sprachbegabt war, neben ihrer Muttersprache auch das Französische und das Russische beherrschte sowie natürlich das Englische, das sie zwar mit starkem Akzent, aber fließend und bestens verständlich sprach, wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Der Lage bewusst - und trotzdem saß er einfach nur da?
    Seine Miene war gefasst, sein Blick auf ihr Gesicht geheftet, während das Baby strampelte und zappelte und ein dünnes Protestgewimmer hören ließ, und langsam begriff sie, dass er sich zwang, sitzen zu bleiben, Gelassenheit und Gleichgültigkeit auszustrahlen - ihr zuliebe. Um sie nicht zu erschrecken. Er stieß einen Seufzer aus. »Miriam hat offenbar wieder etwas ausgeheckt. Sie behauptet, irgendeinen Gerichtsbeschluss erwirkt zu haben - ich habe mit Levi* am Telefon darüber gesprochen -, aber ich garantiere dir, dass sie nie wieder einen Fuß auf dieses Grundstück setzen wird, komme, was da wolle. Ich habe beide Straßen sperren lassen.
    Und Billy kümmert sich um alles. Du kennst Billy ja. Er würde eher sterben, als uns auszuliefern.«
     
    * Richter Levi H. Bancroft, der Wrieto-San zusammen mit dessen altem Freund James Hill in dem Scheidungsverfahren vertrat. Sowohl er als auch Richter Hill waren außergewöhnlich fähige Männer - in mancher Leute Augen ebenso fähig wie Clarence Darrow, der Wrieto-San gegen eine frühere Anklage wegen Verstoßes gegen den Mann Act verteidigt hatte (er wurde beschuldigt, Miriam im Jahr 1915 in unmoralischer Absicht in einen anderen Bundesstaat gebracht zu haben - wenn man denn den freiwilligen Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen als unmoralisch bezeichnen will). Aber für Wrieto-San kam eben immer nur das Beste in Frage, und das galt auch für die Menschen, mit denen er sich umgab.
     
    »Ein Gerichtsbeschluss? Was denn für ein Gerichtsbeschluss?«
    »Nicht der Rede wert. Juristischer Hickhack, mehr nicht.«
    »Jaja, das hast du mir auch bei den Reportern gesagt, und dann ist dieser grässliche Kerl von der Zeitung gekommen und ... Mir gefällt das nicht, Frank. Ich finde das schrecklich. Richtig schrecklich.«
    »Hör zu«, jetzt kam er hinter seinem Schreibtisch hervor, ging über den Teppich auf sie zu und schloss sie und das Baby in die Arme, umfasste sie mit der Kraft eines Titanen, eines Helden, der die ganze Welt zu halten vermochte, »es gibt keinen Grund

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