Die Frauen
zur Sorge, nicht den allergeringsten Grund.«
Er täuschte sich.
Keine Stunde später kauerten sie wie Verbrecher in dem Garten auf dem Hügel, über Wurzelstöcke geduckt, und erzählten Svetlana und dem Baby flüsternd Geschichten, so als wäre alles in bester Ordnung, während der Sheriff, versehen mit Haftbefehlen, im Wohnzimmer, in der Blauen Loggia, in Küche, Bad und Studio herumschnüffelte.
Schon am nächsten Tag würde Miriam einen weiteren Angriff unternehmen. Und keine zwei Monate später würden sie abermals fliehen müssen, würden so überstürzt packen, dass sie die Betten nicht mehr machen und die über den Boden verstreuten Kleider nicht mehr aufräumen konnten, das halbgegessene Frühstück auf dem Esstisch wurde den Fliegen überlassen und der Garten den Krähen, Taschenratten und pulsierenden Schwärmen von Insekten mit ihren klackenden Kauwerkzeugen und unersättlichen Mündern.
Frank versuchte, das Ganze wie ein Abenteuer erscheinen zu lassen, genau wie schon ihre Reise nach Puerto Rico, aber es war ebensowenig ein Abenteuer wie die Flucht aus dem Krankenhaus, als sie kaum den Kopf vom Kissen hatte heben können. Es war kein Abenteuer gewesen, die zerlumpten Habenichtse in Coamo mit ihren schmutzigen Spreizfüßen, ihrem zahnlosen Lächeln, ihren ausgemergelten Ziegen und von Pusteln übersäten Hunden auszuhalten oder die gebratenen Bananen essen zu müssen, die wie in Öl getränkte Pappe schmeckten, wo sie doch nur zu Hause in Taliesin hatte sein wollen, das Baby neben sich, den Duft von backendem Brot in der Nase. Frank steuerte den Cadillac, diesen schimmernden Koloss, Richtung Westen übers Land und versetzte sie bei jeder Kurve in Angst und Schrecken, denn er fuhr immer zu schnell, als wäre der eigentliche Sinn des Autofahrens nicht etwa, sicher und bequem irgendwohin zu gelangen, sondern gegen jegliches Gesetz der Straße zu verstoßen, und dabei hielt er endlose Monologe. Für Svetlana, um sie bei Laune zu halten, aber auch für sie. Das musste man Frank lassen: Gesprächspausen brauchte man bei ihm nicht zu befürchten.
»Es wird dir gefallen, Svet«, sagte er immer wieder, »unser eigenes kleines Häuschen im Wald. An einem See. Dem Minnetonka. Kannst du das aussprechen? Komm, versuch’s mal. Das kriegst du hin. Und ich sage dir, das ist nicht nur so eine kleine Pfütze wie der Teich in Taliesin, sondern ein richtiger, echter See mit Fischen, mit Zander zum Beispiel. Du magst doch Zander? Und mit Bären im Wald und Wölfen und, lass mal überlegen - mit Elchen! Du wirst Elche sehen. Hunderte wahrscheinlich. Und weißt du was? Da gibt es auch ein kleines Kanu, das hat genau die richtige Größe für ein kleines Mädchen - wie findest du das?«
Bäume überwölbten die Straße, hier wieder näher beieinanderstehend, der Wald mal dichter, mal lichter auf ihrer Fahrt Richtung Westen durch Montfort, Mount Hope und Prairie du Chien, dann in nördlicher Richtung entlang des Mississippi nach La Crosse und von dort nach Minnesota. Ein Weiler nach dem anderen blieb hinter ihnen zurück, und die Farmen verloren sich zwischen Baumpalisaden. Svetlana spielte mit - »Elche? Wie groß sind die denn? Größer als Elefanten?« -, und falls sie verstört war, ließ sie es sich nicht anmerken. Aber wie hätte sie nicht verstört sein können? Wer wäre es nicht gewesen, schon gar ein Kind? Vielleicht hatte Frank das alles kommen sehen: die Gerichtsverfahren*, Miriams Inbesitznahme von Taliesin, die Zwangsvollstreckung und bevorstehende Zwangsräumung, die Sheriffs und Anwälte. Vielleicht hatte er seine Gedanken für sich behalten und vorausgeplant, diese Zuflucht, zu der sie unterwegs waren, für sie organisiert, doch es war wieder das alte Vagabundenleben, sie hatten alles, was sie für einen Monat brauchten - oder auch für zwei Monate oder drei, wer wusste das schon? -, in einer frühmorgendlichen Panik im Kofferraum verstaut, als jedes Quietschen der Scharniere, jedes Poltern und Klappern die Polizei anzukündigen schien. Die nicht kommen würde, um ihnen eine Klage zuzustellen oder über juristische Feinheiten zu diskutieren, sondern um sie beide zu verhaften und wie Anarchisten oder Bankräuber hinter Gitter zu bringen. Und was dann? Weitere Zeitungsberichte? Weitere Demütigungen?
* In einer wahren Prozessekstase hatte Miriam Wrieto-San auch noch wegen erzwungenen Konkurses verklagt und forderte zudem seine Verhaftung wegen Verstoßes gegen den Mann Act - die Ironie kann Miriam
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