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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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kaum entgangen sein.
     
    Sie versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sich Frank und den Kindern zuliebe zu beherrschen, doch sie musste ständig an ihren Garten, an die Blumen, an die Pferde, Hühner und Kühe denken. Würde das alles versteigert werden? Würden die Tomaten am Strauch verfaulen, die Hortensien verwelken, weil niemand sie goss? Es verbesserte ihre Stimmung nicht gerade, dass Svetlana in La Crosse, wo sie zum Abendessen haltmachten, eine ihrer Anwandlungen von Trotz bekam und sich weigerte zu essen, weil sie Steak nicht mochte und Schwein nicht essen wollte und Fisch sowieso hasste und Hackfleisch auch, und nein, sie wollte auch keine Wiener, nicht mal Eis oder sonst etwas. Und dann hatte das Baby auch noch Durchfall, und sie kamen mit dem Windelnwechseln gar nicht mehr nach, hoffentlich reichten sie bis zu ihrem Ziel. Und Frank, der fröhlichste, sorgloseste Mensch auf Erden, sang unterdessen unbeirrt: »Minnesota, Minnesota, wo die Fische größer sind als in Dakota!«
    Falls sie schroff zu den Thayers war, die das Haus für sie angemietet hatten, tat es ihr leid, sie hatte gewiss nicht beabsichtigt, zu irgend jemandem unhöflich zu sein, weder zu der Frau, der das Haus gehörte, noch zu der Köchin, die zugleich Haushaltshilfe war und die sie von der Besitzerin übernahmen, aber ihre Nerven waren einfach zum Zerreißen gespannt, und die ersten paar Tage in der neuen Unterkunft waren eine echte Prüfung. Da waren zunächst die üblichen, mit dem Umzug einhergehenden Herausforderungen - die Eingewöhnung der Kinder, die Bestückung der Speisekammer, der Umgang mit ihrer neuen Bediensteten, der nur als Farce zu bezeichnende Versuch, aus einem fremden Haus voll fremder Dinge ein Zuhause zu machen -, und dann wurde das Ganze noch durch ihre neuen, falschen Identitäten kompliziert. Sie durfte nicht mehr Olga sein, und Svetlana durfte nicht mehr Svetlana sein. Sie waren wieder die Richardsons*, Frank und seine Frau Anna (ein guter, ausländisch klingender Name, der ihren Akzent rechtfertigte), ihre Tochter Mary und die Kleine, die nicht mehr Iovanna oder auch nur Pussy war, sondern einfach nur noch das Baby.
     
    * Ich habe mich oft gefragt, ob Wrieto-San dieses Pseudonym zu Ehren von Henry Hobhouse Richardson angenommen hat, einem der Stars des Arts and Crafts Movement, dessen gewagte primitive Steinmetzarbeiten nicht nur Taliesin, sondern auch das Hotel Imperial und die Häuser in Los Angeles vorwegnahmen. Leider konnte ich Wrieto-San nie danach fragen, denn wie man sich denken kann, wäre es äußerst peinlich gewesen, ihn auch nur beiläufig auf diese Phase in seinem Leben anzusprechen, in der er der Presse ausgeliefert war, pleite und auftragslos, der »flüchtige Architekt«, der sich in seiner ganzen weißhaarigen Herrlichkeit der Obrigkeit entzog.
     
    Aber so war es nun mal. Sie lebte in einem Zustand ständiger Entwurzelung, seit man sie als elfjähriges Mädchen zu ihrer Schwester nach Russland ans Schwarze Meer geschickt hatte, wo sie sich eine neue Kultur und eine neue Sprache aneignete, nur um mit Neunzehn, als die Revolution ausbrach, wieder alles hinter sich lassen zu müssen. Sie hatte kaum Zeit gehabt, sich mit Vlademar und ihrem kleinen Töchterchen in Tiflis einzurichten, da mussten sie vor der vorrückenden Weißen Armee fliehen, und unter Georgeis mutiger Führung gelangten sie zusammen mit einer kleinen Gruppe seiner Gefolgsleute via Konstantinopel in Sicherheit. In Fontainebleau fand sie ein neues Zuhause, bis Georgei seinen Unfall hatte, und dann noch einmal in Taliesin - ja, war es denn zuviel verlangt, dass sie endlich Ruhe fand und mehr als zwei Nächte nacheinander im selben Bett schlief? Dass sie irgendwo hingehörte? Ein normales Leben führte, so wie alle anderen?
    Vielleicht. Aber sie war ausgesprochen anpassungsfähig, und das Haus hatte durchaus seine Reize, die Tonka Bay war vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag lichtüberflutet, die Rufe der Eistaucher hallten über das Wasser, und das Wetter blieb bis zum September schön, ein langer, träger Altweibersommer. Und als es dann in der ersten Oktoberwoche schließlich kalt wurde, kam der Frost über Nacht und ließ das Laub in beispielloser Pracht entflammen. Außerdem waren sie zusammen, nur sie vier, keine Schar hämmernder Handwerker, keine Auftraggeber, die es zu besänftigen galt.
    Die Außenwelt war ihnen verschlossen, doch ihre eigene kleine Welt war dafür um so reicher. Sie gewöhnte sich an

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