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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Lenden kräftiger. Frühmorgens, noch ehe sich am Himmel die ersten Grautöne zeigten, zwang sie sich aufzustehen und in den Garten zu gehen, obwohl sie sich um diese Zeit am schwächsten fühlte, von einem Husten geplagt wurde, dessen Hartnäckigkeit sie erschreckte, und fror, fror bis auf die Knochen, so als würde ihr niemals mehr warm werden. Aber jemand, sagte sie sich, musste sich um den Garten kümmern. Die Erbsen und Bohnen wurden von Unkraut überwuchert, die Tomaten- und Paprikasetzlinge waren noch jung und zart, der Zuckermais war in seiner empfindlichsten Phase, und während sie schlief, kamen Heerscharen von Kaninchen, Taschenratten, Käfern und Raupen zum Festschmaus aus ihren Löchern gekrochen.
    Sie aß nichts, kochte sich keinen Kaffee oder Tee, spülte sich nicht einmal mit Wasser aus dem Krug neben ihrem Bett den Mund aus, sondern zog im Dunkeln einen alten Rock und einen Pullover über und trat gleich in den stillen Morgenhauch hinaus, während die Kinder noch schliefen und niemand sie sehen konnte.
    Bei Sonnenaufgang ging sie ins Haus, um zu frühstücken. Frank war schon in seinem Studio und arbeitete, Mrs. Taggertz gab den Kindern zu essen, die Handwerker hämmerten, sägten und nahmen Maß, mit der ständigen Erneuerung von Taliesin beschäftigt. Jetzt aß sie schließlich etwas - ein weiches Ei, eine Scheibe Toast, Kaffee mit Sahne und Zucker -, und wenn sie danach noch genügend Energie hatte, setzte sie sich mit dem Säugling hin und ließ Svetlana ihre Übungen absolvieren, eine Stunde Tanz, eine Stunde am Klavier, Lektüre der Dichter, Zeichnen, Malen, Kalligraphie.* Nachmittags schlief sie. Und abends, wenn Mrs. Taggertz das Abendessen serviert hatte, das Baby im Bett war und sie eine Weile mit Svetlana und Frank im Wohnzimmer gesessen und gelesen hatte, stahl sie sich wieder in den Garten. Sie stand auf, als wollte sie nur in die Küche oder zur Toilette gehen, schlüpfte dann aber hinaus in die sich herabsenkende Dunkelheit. Mondnächte waren ein Segen, die Hacke eine Verlängerung ihrer Arme, ihrer Schultern, eine Tätigkeit führte zur nächsten, bis es elf Uhr war, dann Mitternacht, und noch immer war sie am Werk, die Gleichförmigkeit der Arbeit gab ihr Frieden. Sie verteilte die Erde, rollte den Gartenschlauch aus, bückte sich und schnitt und grub, und die Welt der Reporter entschwand wie ein Schiff, das bei sehr dichtem Nebel den Hafen verlässt.
     
    * Svetlanas Ausbildung war lückenhaft, was nicht nur ihrer wiederholten Entwurzelung, sondern auch den künstlerischen Neigungen ihrer Mutter und Wrieto-Sans Abneigung gegen den klassischen Schulunterricht geschuldet war. Bei Iovanna war es noch schlimmer. Als ich sie 1932 kennenlernte, war sie praktisch Analphabetin. Erst zwei Jahre später, mit Neun, kam sie in die Schule in Spring Green, wo sie jedoch nicht in die vierte Klasse aufgenommen wurde, weil sie nach wie vor weder lesen noch schreiben konnte.
     
    Es wurde Juni, und allmählich entspannte sie sich etwas. Das Telefon läutete noch immer, läutete unentwegt, aber sie lernte es zu ignorieren. Sie hatte zugenommen, jedenfalls ein, zwei Pfund. Ihre Gesichtsfarbe war frischer geworden. Frank machte ihr Komplimente für ihr Aussehen. Sie begann sogar, wenn auch noch zaghaft, sich wieder in den Hof zu setzen, und hatte nicht mehr ständig das Gefühl, beobachtet zu werden, ja zweimal ging sie sogar am helllichten Tag mit Svetlana zum Entenfüttern an den See hinunter. Und dann, eines frühen Abends, als sie im Wohnzimmer mit dem Baby spielte, während Svetlana draußen vor der Tür Seil sprang, das rhythmische Aufklatschen so regelmäßig wie Herzschlag, und der Geruch von gebratenem Schinken, Kartoffeln und Zwiebeln aus der Küche herüberwehte, sah sie bei einem zufälligen Blick aus dem Fenster, dass unten vor dem Tor mehrere Autos geparkt waren. Geistesabwesend stand sie auf und ging durchs Zimmer, um sich das Ganze genauer anzuschauen. Sie sah den Glanz von Glas und Metall, die abgezirkelten Rechtecke der Autodächer, in denen sich die Sonne spiegelte, Bewegung, Menschen - Männer mit Hüten -, die in Zweier- und Dreiergruppen zusammenstanden, als hofften sie auf Arbeit.
    Oder auf eine Geschichte. Eine Zeitungsgeschichte.
    Ihre erste Reaktion war, vom Fenster zurückzutreten, obwohl man sie aus der Entfernung ja wohl kaum sehen konnte, oder? Dann ging sie ins Schlafzimmer, aber nicht etwa, um sich wie ein verängstigtes Kind zu verstecken - sie war plötzlich wütend,

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