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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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noch nie hatte sie eine bestimmte Sorte Mensch so gehasst wie diese Berufsschnüffler, diese aufdringlichen Kerle, warum konnten sie sie nicht einfach in Ruhe lassen? -, sondern um das Fernglas zu holen, das auf dem Tisch neben dem Bett lag. Sie wollte ganz sicher sein. Ihren Feind kennen. Dann würde sie Frank rufen, und der würde seine Männer hinunterschicken, damit sie gegen die Kerle einschritten und alles wieder seinen gewohnten Gang gehen konnte.
    Sie kehrte geduckt ins Zimmer zurück, warf einen kurzen Blick auf das Baby, das auf dem Teppich mit einem Stofftier beschäftigt war, nichts ahnte, nichts wusste, und kroch dann auf allen vieren ans Fenster. Die Szene sprang sie vergrößert an, der See ein Farbklecks, der Rasen ein knallgrünes Einerlei, bis die einzelnen Grashalme deutlich hervortraten, das Tor verwackelt, schließlich scharf. Sie sah Billy Weston, der mit dem Rücken zu ihr stand, neben ihm zwei der anderen Männer. Und dann die Zeitungsleute, ihre Hüte zerdrückt, die Krawatten in der Hitze verrutscht. Ein Schrei ertönte, gedämpft durch die Entfernung und die Fensterscheibe, und ein Schwarm Enten stob vom Wasser auf und kreiste über dem Haus, ließ rhythmische Schatten durchs Zimmer zucken, und nun sah sie, dass da noch etwas war, eine Gestalt, die sich bewegte, eine Frau - sie bückte sich, richtete sich wild gestikulierend auf, bückte sich erneut.
    Es war Miriam. Es musste Miriam sein. Noch während Olgivanna das Fernglas auf das Gesicht der Frau richtete, war sie sich dessen bereits sicher, doch dann duckte sich die Gestalt weg, so dass vorübergehend die Oberkörper der herbeigelaufenen Männer ins Bild traten, bis sie triumphierend wiederauftauchte und - ein verschwommener Farbwirbel - etwas auf die Erde schleuderte. Noch ein Schrei. Die Männer grinsten.
    Rückten näher. Einer, ein Fotograf, stellte sein Stativ auf, auf den Autofenstern explodierte die Sonne, und die Frau wandte sich jäh ab und trampelte so wild auf dem Ding herum, als wollte sie ihm den Garaus machen. Erst danach hielt sie lange genug still, um einen Blick auf ihr Gesicht zuzulassen.
    Olgivanna hatte Miriam nur einmal gesehen - im Flur des Krankenhauses -, doch die Fotos von ihr hatte sie unzählige Male betrachtet, fasziniert, auf sie fixiert, mit jeder Falte im Gesicht ihrer Rivalin so vertraut wie mit ihren eigenen, und das da unten war eindeutig sie, Miriam in ihrer ganzen streitlustigen Herrlichkeit, gekommen, um ihr Recht einzufordern. Olgivanna erkannte die Mopsnase, das feste Kinn, den zusammengekniffenen, unersättlichen Mund und den überdimensionalen Turban, der ihr über die Augenbrauen gerutscht war - und dann die Augen selbst, schreckhaft geweitet, als würde sie schon ihr Leben lang wieder und wieder mit einer Nadel gestochen. Es bereitete Olgivanna ein seltsames Vergnügen, sie auf diese Weise zu sehen, am Ende eines langen optischen Tunnels, flach, verkleinert und verfremdet, doch das Vergnügen währte nicht lange. Bestimmt würde Billy Weston jeden Moment zur Seite treten, Miriam würde mit ihrer Horde von Reportern durch das Tor gehen und die Auffahrt hinaufmarschieren, und was dann? Würden sie sich auf den Feldern verstecken müssen? Unter die Betten kriechen? Wo war Frank überhaupt?
    Svetlanas Seil schlug wieder und wieder auf, das Geräusch drang durch die offene Tür herein. Aus der Küche ertönte ein dumpfes Scheppern, als die Köchin einen Löffel am Topfrand abklopfte. Olgivanna war so in Miriams Anblick vertieft, dass sie überhaupt nicht mehr an Pussy dachte, bis hinter ihr etwas krachend zu Boden fiel. Sie wirbelte herum und sah, dass das Baby sich im Kabel von einer von Franks Lampen verheddert hatte, das Glas war kaputt, der Fuß verbogen* - Frank würde toben, das war ihr erster Gedanke -, und schon stieß Pussy den ersten erschrockenen Schrei aus. Olgivanna geriet in Panik - der elektrische Strom, die Scherben -, ließ das Fernglas sinken, sprang auf und riss ihre Tochter hoch, sollte sie doch sehen, wer wollte. Im nächsten Moment stand sie im Korridor - Pussy schluchzte, war erschrocken, blutete aber nicht, die Lampe hatte sie wohl nicht getroffen - und rief nach Frank, ihre Stimme ein bitteres Destillat aus Zorn, Angst und Ungeduld. »Frank! Frank! Wo bist du, verdammt noch mal?«
     
    * Tja - was wäre diese Lampe heute wohl wert?
     
    Er war in seinem Studio und zeichnete, wie er überhaupt immer zeichnete, selbst in der größten Krise, und als sie hereinplatzte, blickte

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