Die freien Amazonen - 3
knabberten ein paar Stücke Trockenobst. Gwennis hatte Dom Elric noch nie so aus der Nähe gesehen. Er war ein großer, magerer Mann, dessen bronzenes Haar fast völlig zu Grau verblichen war. Sie wusste nichts von ihm, was über das allgemeine Gerede hinausging, und es hieß, er sei gerecht und großzügig. Viermal verheiratet gewesen, war er jetzt Witwer mit nur einem überlebenden Kind, einem Jungen, noch keine fünf Jahre alt. Der Junge, so ging das Gerücht, litt an einer seltsamen Krankheit, an der er wahrscheinlich sterben würde, lange bevor er erwachsen war. Dom Elrics Besitz war klein, und es war nicht damit zu rechnen, dass er eine fünfte Familie fand, die ihm eine Tochter zur Frau gab.
Sein mutmaßlicher Erbe war ein Emmasca -Cousinund seine verwitwete, kinderlose Schwester führte ihm den Haushalt. Gwennis hatte die vai domna nie gesehen, aber gehört, nach dem frühen Tod ihres Gatten habe die Dame sich dem Befehl ihres Bruders, ein zweites Mal zu heiraten, widersetzt und stattdessen ein skandalöses Leben gewählt.
Um die Mittagszeit war die Halle bis auf Dom Elrics Hausdiener und ein paar Nachzügler, die ihre Kinder und Habseligkeiten zusammensuchten, leer. Alanna zog Gwennis nach vorn und hieß sie, sich vor dem Hochsitz des Lords zu verbeugen. »Vai dom, ich möchte unter vier Augen eine Gunst von Euch erbitten.«
Er runzelte die Stirn, doch nicht unfreundlich. »Ich kann mich nicht an Euren Namen erinnern, mestra.«
»Ich bin Alanna, die Frau Piedras, Eures obersten Hirten. Es geht um meine älteste Tochter hier.«
Gwennis, die vom Kopfweh immer noch benommen war, wunderte sich, wie ihre Mutter hatte auf den Einfall kommen können, sich über Piedras Härte bei dem Herrn zu beklagen. Wenn ein Mann seine Kinder nicht gerade ermordete, hatte niemand das Recht, sich einzumischen. Gwennis spürte Dom Elrics hellgraue Augen auf sich ruhen, als könne er ihren Schädel öffnen und ihr ins Gehirn sehen.
Erschauernd dachte sie, dass er es vielleicht wirklich konnte. Hatten nicht alle Angehörigen der Hastur-Sippe Zauberkräfte?
Nach kurzem Nachdenken sagte er: »Nun gut. Ich will mit Euch im Büro des coridom sprechen.«
Ein paar Minuten später führte ein offensichtlich nicht damit einverstandener Haushofmeister Mutter und Tochter in ein kleines, einfaches Zimmer, dessen Möbel hauptsächlich aus einem Schreibtisch und zwei niedrigen Sofas bestanden. Dom Elric setzte sich und winkte ihnen, es ihm nachzutun. »Ihr braucht nicht zu stehen, wenn wir allein sind. Was ist das jetzt für eine wichtige Angelegenheit? Ich hoffe, sie ist wichtig genug, um diesen Unsinn zu rechtfertigen.«
»Ich wollte Euch nur eine Peinlichkeit ersparen, vai dom «, erwiderte Alanna. Gwennis staunte über die schlaue Unverschämtheit, die sie an ihrer Mutter gar nicht kannte. »Das ist meine Tochter Gwennis. Sie wurde zu Mittwinter vor fünfzehn Jahren beim Fest gezeugt. In der Nacht lag ich bei mehreren Männern, einschließlich meinem Verlobten. Nur einer von ihnen kann ihr dies gegeben haben.« Sie fasste nach einer Locke von Gwennis’ feuerfarbenem Haar.
Gwennis stand da wie gelähmt, bestürzt über ihre eigene Naivität.
Die ganze Zeit hatte sie Piedras Lieblingsschimpfwort ›von sechs Vätern gezeugt‹ für eine Beleidigung ohne tiefere Bedeutung gehalten. Kein Wunder, dass ihr Vater - nein, Pflegevater - ihren Anblick verabscheute. Und ein fast ebenso großes Wunder wie ihre eigene Abstammung war, dass ihre abgearbeitete Mutter mit dem faltigen Gesicht und dem spülwasserfarbenen Haar einmal hübsch genug gewesen sein musste, um einen Edelmann in Versuchung zu führen. Und wiederum, wer konnte sich vorstellen, dass dieser ernste Lord sich so leichtfertig amüsierte?
Dom Elric sagte: »Was ist Euer Begehren, mestra? Wenn Ihr wollt, dass ich sie anerkenne, dann hättet Ihr die Sache vor fünfzehn Jahren zur Sprache bringen sollen.«
Alanna sah ihn ausdruckslos an. »Daran habe ich nie gedacht, vai dom.«
Das war die einfache Wahrheit, erkannte Gwennis. Alles, was die Frau wollte, war, ihre Tochter auf eine Weise loszuwerden, die ihr eigenes Gewissen entlastete. Alanna fuhr fort: »Sie hat Anfälle, sie ist zu kränklich für die Arbeit draußen. Mein Mann schlägt sie, und ich fürchte um ihr Leben. Ich bitte Euch, ihr irgendeine Stellung im Großen Haus zu geben, wo sie ohne Angst tätig sein kann. Sie ist nicht kräftig, aber sie hat geschickte Hände und ist nicht so einfältig, wie sie
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