Die freien Amazonen - 3
verlaufenden Narben. Sie sprach nur, wenn sie angeredet wurde, und dann mit so leiser Stimme, dass man sie kaum verstehen konnte.
Wirklich, ein nasser Lappen!
Dessen ungeachtet war sie Caros Schwester. »Etwas könntest du schon für uns tun …«, begann sie.
»Ja?« Das Mädchen sprang auf und stolperte.
»Das einzige Holz hier drinnen ist feucht und halb verfault. Wenn wir es heute Nacht ein bisschen warm haben wollen - nun, es muss in der Nähe trockene Äste geben. Wenn du die Axt nehmen und danach suchen willst …«
Rafi nahm die ihr hingehaltene Axt und eilte hinaus in den Schnee -
aber nicht schnell genug, dass ihr Lirellas Frage: »Hast du keine Angst, dass sie sich damit den Fuß abhacken wird?«, entgangen wäre.
Die Tränen brannten ihr in den Augen, und da sie jetzt nicht mehr unter der kritischen Beobachtung der Freipartnerinnen stand, ließ sie ihnen freien Lauf.
Lirella hatte Recht - es war sehr gut möglich, dass sie sich den Fuß abhackte. Mindestens ein dutzend Mal war sie mit dem hölzernen Trainingsmesser nahe daran gewesen. Das Messer, das sie im Augenblick trug, diente nur der Dekoration - sie hatte nicht die Absicht, es jemals zu ziehen. Wenn sie es täte, wäre sie für sich selbst und ihre Schwestern eine größere Gefahr als für einen Angreifer.
Warum hatte sie bloß den Eid abgelegt?
Benimm dich nicht dümmer, als es unbedingt sein muss, ermahnte sie sich traurig. Du weißt, warum du den Eid abgelegt hast.
Dieser schreckliche Tag, als die leroni in Neskaya sie mit der Bemerkung, sie habe nicht die ›Kraft‹, die weitere Ausbildung zur Bewahrerin durchzustehen, und nicht die Nerven für die Arbeit im Turm, zu ihrem Vater zurückgeschickt hatten! Sie hatte es versucht - o gnädige Avarra, wie sie es versucht hatte! -, aber der Schmerz, die Brandwunden, die sie sich jedes Mal zuzog, wenn sie einen Menschen berührte, jedes Mal, wenn ein Mensch sie berührte - die Grenzen dessen, was sie ertragen konnte, waren schnell erreicht worden. Wie hatte sie sich geschämt, dass sie nicht aushielt, was die kleine Keitha, die noch ein Kind war, ohne ein Wimmern über sich ergehen ließ!
Wenn sie doch nur, wie so viele andere, an der Schwellenkrankheit gestorben wäre!
Dann stand sie vor ihrem Vater, und er musterte sie mit harten Augen. Solange sie sich erinnern konnte, hatte er sie ›den unnützen Esser‹ genannt. Sie war nicht hübsch wie ihre Schwestern, für die Ehemänner zu finden leicht gewesen war, sie war nicht fähig gewesen, nach dem Tod ihrer Mutter die Dienerschaft der Burg zu beaufsichtigen. Ihr Vater hatte deutlich seine Erleichterung gezeigt, als Neskaya um die Erlaubnis bat, sie zur Bewahrerin auszubilden.
Und jetzt war sie wieder da, für Neskaya so wenig von Nutzen, wie sie es für ihn gewesen war.
»Zandrus Höllen, du bist ein teiggesichtiges kleines Ding«, stellte er schließlich angewidert fest. »Diese ganze Zeit im Turm, und dein Aussehen hat sich immer noch nicht verbessert. Und ich hätte keine Ahnung, was ich mit dir anfangen sollte, wenn Lord Dougal nicht wäre. Doch die Lady des alten Wüstlings ist zur letzten Ruhe gebettet worden, und er will unbedingt eine Verbindung mit unserem Haus.
Du bist kein Hauptgewinn, aber du bist heiratsfähig, und das ist alles, was er will. Er hat keine Erben, also sieh zu, dass du ihm schnell einen verschaffst. In zehn Tagen kommt er her, und dann werden wir gleich die Trauung di catenas vornehmen.«
Rafi war vor Entsetzen wie gelähmt gewesen. Fast wäre sie auf der Stelle ohnmächtig umgesunken. Vor ihrem geistigen Auge sah sie nichts anderes als ihre Mutter, ausgelaugt von einer Geburt nach der anderen, bis ihr die letzte den Tod brachte. Die Stimme ihres Vaters, scharf vor Ungeduld, brachte sie wieder zu sich. Sie hatte unbeholfen geknickst, irgendeine schickliche Bemerkung hervorgebracht und ihn mit dem unsicheren Schritt eines Menschen, der plötzlich blind geworden ist, verlassen.
Niemand machte sich die Mühe, sie zu bewachen - niemand hätte ihr je zugetraut, dass sie weglaufen würde. Auch wenn sie sich auf keinem anderen Gebiet auszeichnete, war sie immer vollkommen gehorsam gewesen. Deshalb hatte niemand sie aufgehalten oder ihr auch nur eine Frage gestellt, als sie die Burg verließ, ins Dorf hinunterstieg und das kleine Gildenhaus der Entsagenden aufsuchte.
Sie hatte keinen anderen Ort gewusst, an dem sie sicher sein würde, denn sogar sie in ihrem behüteten Leben hatte von Dougal gehört und wie seine
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