Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
hinaussteigt und mitten im dunklen Wald
steht. Über ihm eine überwältigende Pracht von Sternenhimmel, so dass er
sofort, wie von einem Schlag getroffen, nach hinten fällt und am Rücken im Moos
liegen bleibt.
Dieser Himmel ist so umwerfend,
so überwältigend und so berauschend, wie konnte er das bisher nur übersehen
haben! Es ist ihm vollkommen rätselhaft. Wohin habe ich mein ganzes Leben über
nur geschaut? Das ist doch das Schönste, was ich jemals gesehen habe. Dieses
Sternenzelt, ein pittoreskes, silbern funkelndes, myriadenfach gebrochenes
Glanzjuwel, voller Arabesken. Ein Orgasmus an Tiefenschärfe und Eleganz. Jede
einzelne Figur an diesem Himmel singt eine ganz leise Melodie. Eine visuelle
Melodie, verrückt, aber wahr, eine visuelle Melodie! Und all diese Melodien
zusammen sind eine wunderschöne polytonale Sinfonie. Das ganze göttlich
leuchtende Schauspiel hier, und im Hintergrund, weit weg und in Sicherheit,
dieser percussive Rhythmus seines Herzens im Schoß der Miriam. Boris beginnt zu
weinen. Durch das Wasser seiner Tränen verändert sich das Bild des glühenden
Sternenhimmels zu einem noch schöneren, sich ständig wandelnden Kaleidoskop.
Und irgendwie spürt er, dass er
selbst Anteil hat an dieser Schönheit, das er ein Maler der Gedanken ist, ein
Schöpfer pittoresker Weltgestalten, die sich aus dem Geist heraus in die Welt
hinein materialisieren. Das ganze Universum ist psychische Substanz! Und es
scheint auch, als mache er das nicht alleine. Er ist verwoben mit dem dichten
Netz aller anderen, aller seiner Mit-Menschen und Mit-Tiere, die allesamt am
Bild dieses Universums weben. Er versucht sich loszureißen von diesem
grandiosen Anblick.
Mein Gott, war ich blind die
ganze Zeit!
Es bereitet ihm beinahe
Schmerzen, nun aufzustehen und den Kopf vom Himmel weg zu lenken.
Er hat einen Auftrag, er hat
eine Mission. Doch er hat keine Ahnung, wohin er sich wenden soll. Er taumelt
hinaus aus dem Wald und über eine nächtliche Wiese, die ihn begrüßt. Jeder
Halm, den er berührt, ist ein lebendes, pulsierendes Etwas, ein Stück
Bewusstsein. Nichts, nichts auf dieser Welt ist ohne Bewusstsein.
Warum vergessen wir das
ständig?
Nie mehr wird für ihn alles
sein, wie es früher einmal war, das weiß er jetzt. Und er weiß jetzt auch, dass
es kein Alleinsein gibt. Überall ist Leben und Bewusstsein!
Aber seine Mission, er muss sie
noch erfüllen, ehe er an die Oberfläche zurückkehrt! Er läuft weiter über die
Wiese, seine Füße sind nackt, allein das Gras unter ihm ist warm und feucht.
Endlich, dort vorne ist Licht. Ein Haus. Ein Fenster. Boris lugt hinein. Wieder
die Schattenumrisse der zwei Kinder. Sie scheinen zu spielen. Während er die
Schatten weiter beobachtet, holt ihn noch einmal die Faszination dieses
juwelenartigen Sternenzeltes ein. Wie ein Heroinsüchtiger wendet er sich nach
oben und lässt die Schönheit einfach in sich herein träufeln, ganz besoffen ist
er davon, er taumelt im Kreise.
„Diese Realität!“ schreit er in
die Nacht hinein.
Alles was er bisher gesehen
hat, war nicht andeutungsweise so klar und real, so tiefenscharf und absolut
präsent. Er spürt, wie er sich mit diesem Universum über ihm zu vereinen droht.
Was heißt hier droht! Es wäre eine Gnade!
Aber die Mission, da ist noch
diese Mission! Und er hört sein Herz aus der Ferne schlagen, im Schoß der
Miriam. Ich muss irgendwie dort hinein kommen, denkt er. Durch dieses Fenster!
Aber er will die zwei Kinder nicht erschrecken. Gibt es denn hier keine Tür?
Gibt es denn hier nur ein Fenster, das mir Schatten zeigt? Keine Tür? Nur
Schatten? Boris wird sehr traurig, denn er befürchtet, dass er seinen Auftrag
nicht wird beenden können.
„Entspann dich!“, hört er von
weitem.
Und wieder kann er nicht
entscheiden, ob es seine Stimme oder die eines andern Menschen ist.
„Ich höre das nicht mit meinen
Ohren. Ich höre es mit meinem Geist. Es ist in meinem Geist, aber es ist
wahrscheinlich nicht meine eigene Stimme.“
Er streckt nun die Hand aus,
ganz sanft, ganz leicht. Dabei denkt er an ein Zeichen des chinesischen I
Ging-Orakels: "Sun, das sanft Eindringende". Und mit einem Mal kann
er die Ziegelwand des Hauses durchdringen. Langsam geht er voran und durch die
Wand hindurch. Diese Kinder, es sind zwei Mädchen, das sieht er von hinten, sie
spielen Puppenküche, er kann es jetzt genau sehen. Zwei Mädchen, die einen Tee
kochen in ihrer Puppenküche. Nun endlich wird angerichtet. Boris muss
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