Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
Die Erschütterungen ihrer Schritte gehen durch den
ganzen Körper bis in ihren Kopf. Fast ein bisschen schlecht sehen kann sie
dadurch, weil sich alles auf und ab bewegt, als säße sie in einem schlecht
gefederten Traktor, der über Schlaglöcher holpert. Spürt sie nun doch eine
Wirkung des Tees?
Endlich hat sie den Waldrand
erreicht. Ihr kommt vor, als sei sie stundenlang hier her gegangen. Jedenfalls
ist es etwas kühler da. Sie will zum Falkenloch, einer kleinen Grotte, wo sie
sich manchmal heimlich mit ihren Freundinnen trifft. Dort schminken sie sich,
rauchen Zigaretten und reden über die unanständigsten Dinge, die man sich nur
vorstellen kann. Ganz laut, weil´s eh niemand hört. Der Aufstieg zum Falkenloch
ist heute jedoch furchtbar anstrengend.
„Minka!“
Wo ist eigentlich die kleine
Minka? Else hat sie doch eben noch gesehen. Endlich die Grotte. Hier ist es
kalt. Aber ihr Gesicht, ihr ganzer Kopf ist glühend heiß. Auf einmal rinnen ihr
die Tränen übers Gesicht.
„Papa! Mir ist so schlecht!“
Die Minka kommt mit erhobenem
Schwanz zur Höhle herein und mauzt mit leiser Stimme.
Else muss sich übergeben.
Schubweise spürt sie, wie sich ihr Magen krampfartig hochstülpt, bis sie
vollkommen erschöpft in ihrem Erbrochenen liegenbleibt, unfähig, auch nur die
kleinste Bewegung zu tun. Minka schnuppert an ihrem Gesicht. Doch Else ist zu schwach,
um den Kopf zu heben. In ihren Ohren saust und rauscht es, als läge sie neben
einem Wasserfall. Vielleicht liegt sie ja auch neben einem Wasserfall. Ihre
Arme und Beine sind eiskalt und schweißnass. Und der Eingang zur Grotte beginnt
jetzt zu tropfen. Das kann sie deutlich sehen. Die Steine sehen aus wie
flüssig, Tropfsteine, sagt man ja, aber sie lösen sich nach und nach auf,
tropfen auf dem Boden, und sie sind auch klebrig und ziehen Fäden, und bald
schon wird der ganze Eingang von diesen Fäden zu gesponnen sein und sie will
das alles nicht mehr, will nur mehr nach Hause.
„Papa“, wimmert und bittet Else.
„Ich will das nicht mehr!“
Doch sie weiß schon nicht mehr,
ob sie das alles wirklich sagt, oder ob das nur ihre Gedanken oder Träume sind.
Alles ist weit weg. Auch ihre eigene Stimme. Vielleicht träumt sie ja wirklich
nur, und morgen wacht sie in ihrem Bett auf und Minka liegt wie immer bei ihren
Füßen.
Ihr ganzer Körper bäumt sich
jetzt wieder krampfartig auf, alles, alles kommt aus ihr heraus, und es
schmerzt und sie kann einfach nicht mehr. Wieder beginnt sie zu frieren.
Diesmal ist es ein Frost, der bis tief in ihrem Körper hinein will und sogar
das Denken fällt ihr jetzt schwer. Das Rauschen und Singen in den Ohren wird
immer lauter, das macht ihr Angst, weil sie nichts anderes mehr hören kann.
Die Katze legt sich neben Elses
Gesicht. Aber es geht alles auf einmal so langsam. Sie hat das Gefühl, als habe
sich jede Bewegung in einzelne, stehende Bilder aufgelöst, die ruckartig
hintereinander abgespult werden, so wie in manchen Videoclips. Dabei dreht sich
auch noch alles ständig irgendwie ruckartig im Kreis. Mit letzter Kraft und
Konzentration steckt sie ihre rote Haarspange an das Katzenhalsband der kleinen
Minka. Als Andenken für den Vater. Sie muss wieder weinen. Er soll die Spange
auf Elses Grab legen.
Dann hat Else auch nicht mehr
das Gefühl, dort zu sein, wo ihr Körper ist. Sie weiß nicht mehr genau, wo sie
wirklich ist. Ist sie dort unten, wo ihr eiskalter Körper liegt und zu keiner
Bewegung mehr fähig ist? Oder ist sie da oben, irgendwo an der Decke der
kleinen Tropfsteinhöhle? Das was in ihrem Kopf dort unten war, ist jetzt hier
oben. Der Rest liegt unten.
Jetzt kann sie also doch
fliegen!
Aber anders, als sie es sich
gewünscht hat. Und sie spürt, wie sie sich immer mehr entfernt von ihrem Körper
und von der Minka, und wie alles immer dunkler und matter wird.
12
Der Karner Bauer hat sein Kreuz
mit dem alten Traktor. Er wischt sich mit einem Lappen notdürftig das Öl von
den Händen und geht ins Haus.
Wo sich die Else wieder
herumtreibt! In der Küche sieht er, dass die Brote für die Kleine noch
unberührt am Teller liegen. Warum die Christl auch immer so viel Butter
draufmacht, wenn sie weiß, dass die Else das nicht mag.
„Else!“
Vielleicht ist sie ja in ihrem
Zimmer. Er geht die Treppe hinauf, öffnet die Tür zu Elses Zimmer. Niemand da.
Nur das Ticken der Micky Maus-Uhr an der Wand. Er nimmt sein Mobiltelefon aus
der Hosentasche und wählt ihre Handynummer. Es klingelt hinter
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