Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
steckt sie und ein paar kleine Schüsseln in den Rucksack.
Mit den zwei Katzentaschen und dem Rucksack macht er sich auf den Weg zur
Sennerhütte, die ein schönes Stück weiter oben liegt. Jeden Tag wird er jetzt
gleich am Morgen eine Stunde hinauf und eine dreiviertel Stunde wieder
hinuntergehen müssen, um die beiden Katzen zu versorgen. Trotzdem ist es so
viel sicherer, denn sehr wahrscheinlich ist es im Ort nicht verborgen
geblieben, dass Miriam zwei Katzen hat und wie sie aussehen.
Es hat zu nieseln begonnen.
Nebelschwaden liegen auf der Alm und verdecken die Sicht ins Tal. Allmählich
ist Boris vollkommen durchnässt. Die Katzen in den Reisetaschen schreien
herzerbarmend. Igor bekommt regelmäßig einen Tobsuchtsanfall. Dann fährt er in
der engen Tasche wild umher, so dass Boris Mühe hat, die schwere Tasche nicht
aus der Hand zu verlieren.
Während er mit größter Mühe den
Saumpfad entlang hinaufsteigt, muss er wieder an die Salvia-Vision denken. Was
hätte er tun können, selbst wenn er damals schon gewusst hätte, um welche
Mädchen es sich handelte? Niemand hätte ihm auch nur ein Wort geglaubt. Schon
gar nicht ihm, dem Althippie und Haschischraucher. Und das ist die Ironie
dieser Vision: Sie ist zwar eingetroffen, doch wäre sie praktisch durch nichts
zu verhindern gewesen. Damals sah er zwei Mädchen, die in ihrer Puppenküche
einen grauenhaften Tee zusammenbrauten, und er hörte daraufhin die „Musik des
Todes“. Vielleicht ist das ja auch alles nur die überreizte Phantasie seines
bereits drogenverseuchten Gehirns. Doch er sah Else in seiner Vision, darin ist
er sich Gewiss! Als er das Mädchen in der Kapelle aufgebahrt neben seinem Vater
liegen sah, war er regelrecht schockiert. Es war wie ein Deja-vu-Erlebnis oder
wie in einem Traum. Vielleicht, so überlegt er, hat er ja die Kleine auch schon
früher einmal in Dirnitz oder sonst irgendwo angetroffen und unbewusst
registriert. Diese Möglichkeit besteht immerhin. Nur: warum halluziniert er das
dann im Salviarausch, warum hört er im Zusammenhang mit diesen beiden Mädchen die
Musik des Todes? Und warum stirbt dann eines der Mädchen tatsächlich? Die Musik
war so niederdrückend, dass er meint, er wäre auch selbst daran gestorben, wenn
ihn die Hagazussa damals nicht zurückgeholt hätte.
Allmählich überkommen den Boris
Zweifel, ob es sinnvoll ist, hier mit solch exotischen Wahrsagedrogen zu
experimentieren. Salvia d. wird seit langem von den Mazateken, einem armen
mexikanischen Indianervolk, für ihre schamanischen Praktiken eingesetzt,
besonders als Wahrsagedroge. Doch wahrscheinlich ist es auch wichtig, die Droge
im richtigen Kulturkreis anzuwenden. Die Mazateken üben ihre Salviarituale
schon seit vielen Jahrhunderten aus. Sie haben gelernt, mit den Visionen
umzugehen, so wie wir gelernt haben, eine Computermaus zu bedienen. Was wohl
würde ein durchschnittlicher mazatekischer Indianer sehen und erkennen, wenn er
das erste Mal auf einen Computerbildschirm schaut? Ist es mit bestimmten Drogen
vielleicht ebenso? Brauchen wir einen Erfahrungshintergrund oder ein
morphogenetisches Feld, um überhaupt begreifen zu können, wohin uns die Droge
führt und was sie uns mitteilen kann?
Endlich hat er die Sennerhütte
erreicht. Eine heute nicht mehr benutzte, schon etwas desolate Unterkunft
früherer Hirten, die hier auch Schafkäse produzierten. Noch ehe er die Katzen
aus den Taschen lassen kann, muss er dafür sorgen, dass sich die Tür der Hütte
auch ordentlich verriegeln lässt. Er findet ein rostiges Stück Draht, das er
dazu verwenden kann, das kaputte Türschloss zu fixieren. Dann befreit er endlich
die Katzen, die nun irritiert, mit eingezogenem Schwanz und laut schreiend in
der Hütte herumschleichen. Wotan verkriecht sich bald in eine Ecke der
Hüttenstube. Igor versucht, mit seinen Krallen die Tür des Küchenschranks
aufzubekommen, was ihm schließlich auch gelingt. Boris öffnet zwei
Thunfischdosen und leert den Inhalt in zwei kleine Schüsseln. Eine dritte füllt
er mit Wasser aus der Regentonne vor der Hütte
In der Hütte sieht es wahrlich
armselig aus: Ein Tisch mit Plastiktischtuch, zwei weißlackierte Sessel, ein
verdreckter Küchenschrank und ein vergammeltes Bett. Irgend ein Tier muss die
Bettdecke zerrissen haben, die Bettfedern liegen überall herum. Doch gibt es
auch noch anderes Bettzeug und zum Glück ist im Moment nicht Winter, so dass
sich die Katzen hier nachts ausreichend warm halten können und nicht
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