Die Frequenz: Thriller (German Edition)
geschient. Am rechten Arm bekam er eine Infusion. Mehr als die Hälfte seiner Hautflächen war abgeschürft, weil er bei dem Unfall unter einem Fahrzeug mitgeschleift worden war.
Der Sanitäter bereitete die Injektion eines Beruhigungsmittels vor.
»Ich kann nichts sehen«, sagte Wilson.
»Wie heißen Sie?«, fragte die Stimme. »Sagen Sie mir Ihren Namen.«
»Ich kann nichts sehen«, wiederholte Wilson.
»Keine Bange, ist nur der Verband. Sie haben einen Schlag auf den Kopf bekommen. Jetzt antworten Sie. Das ist sehr wichtig: Sind Sie krankenversichert?«
»Versichert?«, murmelte Wilson. Er schmunzelte – seine Versicherung würde frühestens in fünfzig Jahren gelten. Das fand er irgendwie lustig.
»Sind Sie versichert?«, fragte der Mann wieder.
Eine Schmerzwelle brandete durch Wilson hindurch, stechender als vorher, als würden ihm tausend Messer in den Rücken und in die Beine gestoßen und langsam herumgedreht. Insgesamt fand er die Situation doch nicht so lustig.
»Sie werden sich wünschen, Sie hätten eine«, sagte die Stimme.
Der Rettungswagen fuhr in eine enge Kurve, und Wilson wurde gegen die Gurte gedrückt. Augenblicklich schmerzten ihn ein paar zusätzliche Körperstellen. Er sehnte sich die Bewusstlosigkeit zurück.
Der Sanitäter betrachtete seinen Patienten von oben bis unten; angesichts der Menge an Morphium, die er ihm schon verabreicht hatte, war es erstaunlich, dass der Mann überhaupt noch sprechen konnte. Noch einmal 15 ml sollten ihren Zweck erfüllen, entschied er. Er tippte gegen die Kanüle, damit die Luftbläschen aus der Flüssigkeit wichen, stemmte sich gegen die Fahrbewegungen und setzte die Nadel an den Schlauch an, der von Wilsons linkem Arm hing.
Die Schmerzen kamen und gingen in Wogen, stärker und stärker, und zwangen Wilson zu kurzen, flachen Atemzügen. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun. Gleichzeitig wünschte er sich, von der permanenten Qual befreit zu werden. Egal wie.
»Ich sollte nicht einmal hier sein«, wimmerte er.
Der Rettungswagen rumpelte über eine Bodenfurche.
Die Schmerzen waren überwältigend …
Sydney, Pacifica
Billboard Nightclub, Glebe Point Road, Glebe
23. Mai 2080
Ortszeit: 23.27 Uhr
281 Tage vor dem Transporttest
Im Hintergrund wummerte laute Musik. Der Club war überfüllt und verraucht. Wilson saß auf einem Barhocker neben Professor Julius Author. Ringsherum tanzten Leute bei schummriger Beleuchtung. An der Decke blitzten Disco-Lampen zur Musik von Bony M. Es war Oldie-Nacht – Hits aus dem vergangenen Jahrtausend.
Ohne zu fragen goss der Barkeeper zwei Gläser Wodka ein und schob sie nach vorn. Wilson spürte, wie die interaktive Kreditkarte in seiner Tasche vibrierte und ihn wissen ließ, dass ihm zwei weitere Drinks berechnet wurden.
»Warum muss ich immer bezahlen?«, fragte er.
Professor Author antwortete: »Weil Sie das Vergnügen meiner illustren Gesellschaft genießen.«
»Sie sind betrunken.«
»Ja, Wilson. Ich glaube, Sie haben recht.«
Julius Author war Stammgast im Billboard. Drei Abende die Woche konnte man ihn auf demselben Hocker sitzen sehen, wo er doppelte Wodkas mit Eis in sich hineingoss. Der »Professor«, wie er sich gern ansprechen ließ, war ein brillanter Mann. Doch mit Brillanz geht häufig Exzentrik einher, und er hatte von beidem reichlich. Die Universität Sydney, an der er als Neurologe forschte, war mit ihm in Hassliebe verbunden. Man fand, er sei zu begabt, um ohne ihn auszukommen, aber viel zu befremdlich, um ihn auf die Studenten loszulassen. Wilson würde dem als Erster zustimmen.
Der Professor war Anfang fünfzig und nicht gerade der bestaussehende Kerl der Welt. »Unschön« nannte Wilson ihn. Seine krausen, von Grau durchzogenen Haare standen ab, als hätte er gerade in eine Steckdose gefasst.
Albert Einstein, mit dem er eine verblüffende Ähnlichkeit hatte, war das Vorbild des kleinen Mannes. Wie dieser trug er stets die gleiche Kleidung: dunkelblaue Hosen, weißes Oberhemd, weiße Sneaker, weiße Socken. Auch seine Unterwäsche war immer gleich. Er besaß von allem sieben Stück. Er zitierte gern den Nobelpreisträger und sagte, er habe dadurch eine Entscheidung weniger am Tag zu treffen, und wenn man das über eine Lebensspanne addiere, seien das Millionen von Gedankengängen, die man auf etwas Wichtigeres verwenden könne.
Wilson kannte den Professor seit vielen Jahren, seit er sich um eine Stelle als Laborassistent beworben hatte. Damals war er darauf angewiesen, nebenher
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