Gedanke war aus irgendeinem Grund beruhigend, fast poetisch.
Ich musste die Augen zusammenkneifen, bis ich die Uhrzeit lesen konnte, die der schlafende Satellitenreceiver in grünen Digitalziffern anzeigte. Es war halb zwei. Eine unangenehme Uhrzeit, wenn man weiß, dass man nicht mehr einschlafen wird. Ich ging auf den Balkon und betrachtete die Nachbarschaft. Zu Steinblöcken gepresste Dunkelheit. Schwarzes Nachteis. Alle Menschen schliefen. Über den Dächern waren ein paar helle Sterne zu erkennen, aber sie sahen aus, als wären sie lieber unsichtbar.
Selbst der Fernseher kam nicht ganz zu sich, nachdem ich ihn eingeschaltet hatte. Er delirierte vor sich hin und zeigte zusammenhanglos ineinander übergehende Musikclips.
Ich schaute den Fieberträumen des Bildschirms eine Zeitlang zu, dann schaltete ich den Ton ein. Alles ergab plötzlich mehr Sinn, und ich ertappte mein Knie dabei, wie es zu einem Rapvideo mitwippte, dessen ansteckender Rhythmus dem schwappenden Geräusch von Badesandalen ähnelte, wenn man damit kraftlos über nasse Fliesen schlurft.
You better lose yourself in the music the moment you own it
. Winkende Hampelmänner mit Mikrophonen vorm Gesicht. Szenenfolgen, die den IQ in Zehnerschritten herunterschraubten.
Ich schaltete weiter. Am Fehlen des Senderlogos konnte man sehen, dass es sich um Werbung handeln musste: Ein Mann kommt ins Bild, er hat einen großen Schnurrbart, zwei spiegelbildlich identische Ohren, eine Glatze, zwei Hände, deren sehnenreiche, kräftige Gelenke weiße Schweißbänder tragen. Um seinen Hals hängt eine Trillerpfeife. Er ringt die Hände auf äußerst theatralische Weise:
Oh nein! Oh mein Gott! Nein!
Er verzieht sein Gesichtzu einer stark überzeichneten Leidensgrimasse, wie die Maske einer Witwe in einem Kabuki-Theaterstück.
Oh nein! Ich werde sterben! Der Tod! Der Tod tritt in mein Leben! Ich werde sterben, ich, der größte Schiedsrichter der Welt!
Sein Gesicht ist vom Blasen der Trillerpfeife ganz rot geworden. Er sieht direkt in die Kamera, hilflos und entsetzt. Seine Lippen zittern.
Ich wartete die Auflösung nicht ab, sondern schaltete um. Ein still stehender Text auf dem Bildschirm wies darauf hin, dass der Kinderkanal erst wieder ab Morgen früh um sieben Uhr sendete. Ich schaltete den Ton aus und das kleine Symbol am rechten oberen Rand erschien, ein durchgestrichenes Zeichen, das entfernt an im Profil dargestellte Augen in ägyptischen Hieroglyphen erinnerte.
Hieroglyphen, dachte ich. Hieroglyphen …
Am Rand meines Gesichtsfeldes blitzte es.
Ich musste einfach wieder schlafen gehen, sonst nichts. Der kleine Unfall im Badezimmer hatte mich aufgeregt, aber jetzt war alles überstanden und ich konnte zurück ins Bett.
Während ich über diese Idee nachdachte und zu dem Schluss kam, dass sie zweifellos die allerbeste war, ging ich in die Küche und holte mir ein eiskaltes Gingerale aus dem Kühlschrank. Ich trank es im Stehen und sah meinen Füßen zu, deren Zehen sich von ganz allein bewegten, als versuchten sie, eine Teppichfalte aufzuheben, die es gar nicht gab.
Das wirkliche Ende
Frau Doktor Valerie hatte ihn mehrere Male angerufen. Aber erst am Abend war Walter endlich rangegangen, und sie hatte ihm mit ihrer überbehauchten Lakritzschneckenstimme mitgeteilt, dass Gabi mitten in der Sitzung plötzlich aus der Praxis gestürmt und seitdem nicht mehr aufgetaucht war. Die Frequenzen habe sie quer durch das Zimmer geschmissen, sagte Valerie, sie habe eine heillose Sauerei hinterlassen. Der alte Papagei sei entsetzt in seinem Käfig herumgeflogen, auf der Suche nach einem Notausgang. Sogar ihre Hündin sei jetzt vollkommen durcheinander, obwohl sie von aufgebrachten Klienten einiges gewohnt sei, das arme Tier.
– Aber jetzt einmal Klartext, sagte Valerie.
Was sei da zwischen ihm und Gabi vorgefallen? Sein Name sei nämlich einige Male gefallen, aber sie habe sich absolut keinen Reim auf die sonderbaren Andeutungen machen können.
Walter schluckte trocken.
– Ich habe nicht die geringste Ahnung, sagte er, ehrlich. Außerdem ist da mit Sicherheit nichts zwischen Gabi und
mir
vorgefallen, sondern zwischen Gabi und
der Rolle
, die Sie für mich –
– Okay, es war also etwas, sagte Valerie ruhig. Okay. Dann würde ich Sie bitten, Walter, dass Sie es mir sagen.
– Nein, nein, es war nichts! Sie missverstehen mich.
Das durfte alles nicht wahr sein. Wahrscheinlich sollte er daran schuld sein, dass diese kleine Frau in Valeries Praxis