Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
Vom Netzwerk:
Trapez
.
    Ich bin sehr kitzlig, also bitte versuche mit mir zu lachen, wenn du mich am Bauch berührst. Ich hasse Menschen, die sterben. Warum tun sie das? Wie können sie sich einfach so zurückziehen, in Starre und Verantwortungslosigkeit? Wenn ich kann, verlasse ich sie rechtzeitig, so wie Ratten ein sinkendes Schiff verlassen. Ich sammle zwar weiter Gastfamilien, denn ich bin nicht gern allein, aber ich gehöre niemandem
.

Der Idiot
    – Ich hab dir eine einfache Frage gestellt.
    – Und ich hab dir eine einfache Antwort gegeben.
    – Du hast mir keine einfache Antwort gegeben, sondern eine dumme.
    – Das ist dein Problem, Lydia.
    – Ich bin gestern extra noch einmal umgekehrt, um dich heimzufahren. Du könntest ruhig ein bisschen dankbar sein und mir die einfache Frage beantworten, worum es in dieser Scheißoper geht.
    – Es ist keine Scheißoper.
    – Okay, dann eben Drecksoper. Du kannst mir nicht ewig ausweichen.
    – Nur Geduld …
    – Geduld! Du wagst es wirklich, von Geduld zu sprechen? Soll ich dir was sagen? Meine Geduld hat längst den Raum verlassen!
    – Und hat die Tür hinter sich zugeknallt, ja, wir haben es bemerkt.
    – Du glaubst wirklich, du kannst dich über alle lustig machen, oder?
    –
Aber ich werde schon noch sehen
.
    – Was?
    – Das wolltest du doch sagen.
Du glaubst, du kannst dich über alles lustig machen – aber du wirst schon noch sehen
.
    Sie suchte einen Moment nach Worten, ihre Oberlippe zitterte.
    – Nein, sagte sie traurig, die Hoffnung, dass du einmal irgendwas einsehen wirst, habe ich längst aufgegeben.
    – Ich nehme an, die Hoffnung ist ebenfalls aus dem Zimmer gestürmt, ihrer Zwillingsschwester nach, der –
    – Ach, bitte, sei endlich still!
    – … der Geduld. He, weißt du was? Vielleicht sollten wir einfach ins Nebenzimmer gehen, wo unsere ganzen guten Eigenschaften auf uns warten!
    – Idiot! Verdammter Idiot!, sagte Lydia und drehte sich um.
    – Ja, genau, geh nur!, rief ich ihr nach. Geh zu deiner Geduld und zu deiner Hoffnung, aber schnell, bevor sie sich auflösen!
    Der Baron oder Jäger auf dem Flaschenetikett starrte mich an. Ich stellte die Flasche auf den Küchentisch. Was war da überhaupt drin? Langsam verliere ich den Verstand, dachte ich. Warum hatte Valerie mich versetzt? Verdammte Drecksoper.
    – Alex, sagte sie traurig.
    – Was denn?
    – Alex, hör doch zu …
    – Hör auf.
    – Nein, sagte Lydia, du verstehst immer alles falsch. Ich steh unter Druck. Ich muss zu meinen Eltern fahren, das bringt mich vollkommen durcheinander. Sie kommen in ein paar Tagen auf Besuch und ich fahre ihnen entgegen. Das hat nichts mit dir zu tun …
    Und sie ging aus dem Zimmer. Die Tür öffnete sich eine Zehntelsekunde, bevor sie sie berührte, aus Angst davor, eingeschlagen zu werden.
    Ich blieb allein zurück, mit einem unangenehmen Rauschen in den Ohren, das eigentlich immer da ist, nur meist friedlich und vertraut, ein Hinweis, dass der eigene Körper noch da ist und seinen Dienst tut. Aber diesmal war das Geräusch nur hoffnungslos. Wie ein hoher Raum in einer Kirche. Ihre Eltern also, na, das kam ja gelegen. Diese elenden Snobs.
    Dann kam Lydia zurück und entschuldigte sich. Die Anspannung wegen ihrer Eltern, die vielen Veränderungen. Sie ließe mir ja meinen Freiraum.
    Nachdem sie mit ihren Erklärungen fertig war, tätschelten wir uns die Schultern. Sie gab mir einen Abschiedskuss auf die Nasenwurzel und bat mich, ihr einen Film aufzunehmen, während sie weg war.
    Als sie gegangen war, berührte ich ein paar Dinge auf dem Schreibtisch. Eine Zigarettenpackung. Einen Tixospender, der die Zunge zeigte. Ein paar gebrauchte Batterien. Einen magischen Kugelschreiber, der mit Hilfe eines Magneten auf seiner Spitze balancierte: Man konnte ihn schwebend zum Rotieren bringen und er hörte damit eine ganze Weile nicht mehr auf; oder man stieß ihn mit der Fingerspitze ganz leicht an und er zitterte nervös hin und her. Der Stift war leuchtend violett und trug den Werbeschriftzug für irgendein Medikament. Ein herannahendes Erdbeben würde man als erstes an ihm ablesen können.
    Während meine Gedanken noch um das Erdbeben kreisten (Häuser fallen in sich zusammen, Autos stürzen in Löcher, die sich im Boden auftun, die Kanalisation geht über und Rattenfamilien fluten quietschend ans Tageslicht), dachte ich: Das ist das Ende, ein Ende, das niemals aufhört. So würde es immer weitergehen. Lydia
ließ mir meinen Freiraum
, wiederholte dabei dieses Wort

Weitere Kostenlose Bücher