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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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ein wenig Lärm.
    Blitze, wie plötzlich im Himmel freigelegte Nerven.
    Von draußen dringen die üblichen Geräusche herein: eine Gruppe Arbeiter gegenüber belädt den LKW, dazwischen die Morsetänze des Regens, hie und da Betrunkene, die ihre Stimmen ausprobieren, ein Frauenlachen, dann später auch ein Hund. Der Regen wird schwächer und erstirbt. Vor mir, auf dem niedrigen Heizkörper unterhalb des Fensterbretts, steht das halbvolle Glas Wasser. Warmes, sauberes, luftbläschenreiches Wasser.
    Anstelle eines Taschentuchs.
    Regennasse, schmatzende Echos der Straßen, Getröpfel von Baumwipfeln, Menschenlaute, Autos, das weit entfernte Gejammer verfeindeter Katzengangs – alles harmlos, Spielarten derselben Ereignislosigkeit, fette, weiche, sich überwachsende Natur. Aber das metallische
Piep-Piep-Piep
des LKWs gegenüber – ich weiß, ich werde genau in dem Moment meinen Höhepunkt erreichen, wenn es zum letzten Mal ertönt und der letzte gellende Schrei in der Nachbarschaft verklingt. Das Geräusch kriecht meineWirbelsäule entlang, es kitzelt mich, es erregt mich. Das Geräusch und Valeries Mund. Ihre Lippen, die zur Bildung des Lautes
Mmh
geschaffen worden sind (das minimale Aufeinanderdrücken beider Lippen, begleitet von einem zahm-knurrenden Tierlaut), dazu ihre etwas schief stehenden Schneidezähne, wie die Füße eines Mädchens, das verschämt zu Boden blickt. Mein Penis, dessen Spitze ich im letzten Moment gerade noch ins Wasser tauche, stößt dicke Spermawolken aus, üppige Trauben von Luftblasen, die aus den Öffnungsschlitzen einer Taucherbrille quellen. Ich stelle mir Valeries leicht angewiderten Blick vor, ein dehnbarer Spermafaden zwischen ihrer Unterlippe und meiner Eichel. Ich stöhne laut aus dem Fenster. Mit der rechten Hand ziehe ich mein Glied hoch, und Wasser tropft auf mein nacktes Knie. Danach schütte ich das Wasser mit dem Sperma in den Ausguss. Jeder andere hätte damit irgendetwas angestellt. Wozu sonst in ein Glas mit warmem Aspirinwasser abspritzen?
    Unten auf der Straße stöckelt eine Frau vorbei. Ihre Schritte klingen wie
doch, doch, doch
…, und manchmal verschlucken sie sich:
do-doch, doch, doch …
    Spätnachts wurde ich von Lärm geweckt. Fallendes Glas, Scherben. Ich torkelte aus dem Schlaf zurück in die Wirklichkeit eines kühlen Schlafzimmers. Ich hatte die Balkontür offen gelassen, und schwere, kalte Spätsommerluft, die man angenehm an den Füßen spürte, hatte sich in der ganzen Wohnung ausgebreitet.
    Im Badezimmer glitzerte es überall.
    Der Spiegel war von der Wand gefallen und hatte sich in tausend blinkende Puzzlestücke verwandelt. Ich zog meine Straßenschuhe an und machte mich ans Aufräumen, zwei wabbelige Gummihandschuhe an den Händen. Währendich die größeren Scherben, die ich vielleicht wieder zusammenkleben konnte, von den feinen Splittern trennte, kam das Traumbild, das ich abrupt hinter mir gelassen hatte, wieder zurück: Tweety, der ballonköpfige gelbe Singvogel aus den Zeichentrickfilmen –
Ich glaub, da war doch eben noch ne Miezekatze –
, saß auf einem Hochhaus. Ich zielte mit einem Gewehr auf seinen großen, dummen Kopf. Aber hatte ich auch abgedrückt, im Traum? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Jetzt, mit der träge vor sich her stolpernden Vorstellungskraft, die mir nun zur Verfügung stand, holte ich diesen Gedanken nach. Der Vogelkopf zerplatzte zu rotem Matsch, und das Hochhaus stand wieder ruhig und verlassen da.
    Die großen Scherben landeten fürs erste im Waschbecken. Von den kleineren Stücken bis zum feinen Glasstaub, den man für gewöhnlich verhassten Menschen ins Essen mischt, kehrte ich alles mit einem Besen zusammen und leerte es in den Müllkorb, wo es zwischen Eierschalen und Milchpackungen feindselig zu Boden rieselte. Anschließend wechselte ich die Handschuhe, da bereits Splitter in der dünnen Gummihaut steckten.
    Als das Badezimmer wieder betretbar war, wischte ich den Boden noch einmal feucht auf, auch um den Straßenschmutz, den ich mit meinen Schuhen überall verbreitet hatte, zu beseitigen.
    Als die Arbeit getan war, setzte ich mich im Wohnzimmer auf die Couch. Das Licht im Badezimmer ließ ich an, nur für den Fall.
    Es roch ein wenig seltsam, fand ich, vielleicht nach zerbrochenem Spiegel. Morgen würde ich die größeren Scherben zurück auf die Unterfläche kleben. Für einen neuen Spiegel hatte ich kein Geld.
    Kühle Nachtluft kroch um meine nackten Beine.
    Kein Geld für einen neuen Spiegel – der

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