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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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grauen Heißluftballon herab. Sie raten Papageno, das Glockenspiel einzusetzen. Seine Vernunft und all seine Gewitztheit haben nichts ausrichten können, also wird es wohl ein seelenloser Gegenstand tun.
    Es funktioniert.
    Papageno und Papagena finden zusammen und stottern heftig bei der wiederholten Aussprache ihrer Namen.
    Die Königin der Nacht dringt in den Palast ein, fällt aber, als Tamino und die Priester vor ihr erscheinen, durch ein Loch im Boden.
    Die drei Knaben halten kleine, schwarze Dinge in der Hand.
    Alle, die am Ende übrig bleiben, finden sich zusammen, um ein Loblied auf das Erlebte anzustimmen. FolgendeDinge wurden erlangt: Schönheit. Der Weisheit Krone. Die Überwindung der Vorurteile. Sittliche Stärke. Pyramiden.
    Am Ende vertreiben die Strahlen der Sonne die Nacht.
    Der Vorhang fällt und es wird stockfinster.

Zweiter Teil: Die Besucher
    Wir sind geneigt zu denken, dass für wirklich sorgfältige Messungen die Verwendung eines Stahlmaßstabs besser ist als die eines lebenden Aals. Das ist ein Irrtum; nicht deshalb, weil der Aal uns eine Information liefern kann, die man vom Stahlstab erwartet hätte, sondern weil der Stahlstab in Wirklichkeit nicht mehr liefert, als es offensichtlich der Aal tut. Der springende Punkt ist nicht, dass Aale in Wirklichkeit starr sind, sondern dass Stahlstäbe in Wirklichkeit sich schlängeln wie ein Aal
.
    Bertrand Russell
    perhaps this yarn’s the only thing that holds this man together
    Tom Waits

Der Fall
    Dämmerung. In Zeitlupe ergießt sich ein weiterer Sonnenaufgang über die Stadt. Die Konturen der Häuser lösen sich vom Hintergrund des Himmels. Der morgendliche Chor der Vögel, von dem niemand genau weiß, warum er jeden Tag ausgerechnet um diese Zeit angestimmt wird, ist gerade verklungen, und die winzigen Federtiere holen nach zwei Stunden Dauergesang zum ersten Mal wieder Luft. Alle scheinbar wahllos über die Stadt verstreuten Dinge erwachen zum Leben. Autos setzen sich in Bewegung. Schleusen öffnen sich und Arbeiter verschwinden im Inneren großer Gebäude. Und in einigen besonders eigensinnigen Straßen, die so früh am Tag noch gar nicht wissen, in welchem Jahrhundert sie aufgewacht sind, gehen die Bewohner auf Nummer sicher und kurbeln hundert Jahre alte Markisen aus den Wänden.
    Es gibt zwei zentrale Springbrunnen, die durch einen kleinen magischen Schlüssel in Betrieb genommen werden. Es gibt einen niedrigen Berg mitten in der Stadt, auf dem ein Uhrturm mit vertauschten Zeigern steht. Es gibt Dächer und Mauern, westlich gelegen, auf denen die Sonne aufgeht wie ein geheimnisvoll sinkender Wasserstand. Es gibt Menschen, die überall gebückt aus Gebäuden treten und auf schmalen Gehsteigen einander ausweichen. Und auf den zerknitterten Altstadthäusern hocken die hübschesten grauen und roten Dachziegel, die zum Weltkulturerbe gehören und so aussehen, als wären sie in der Mitte irgendwie verrutscht. Es gibt Bäume, die kurze, unentschlossene Alleen bilden, quer durch die Stadt, und Bäume, die allein stehen und manchmal kreisrunde Sitzbänke um ihren Stamm tragen wie Armbanduhren.
    Es gibt einen Hauptplatz mit Rathaus und Brunnen. Ein Mann im Overall zieht die über Nacht stehen gebliebenen Tauben wieder auf. Und andere Vögel, die auf den Dachrinnen der ältesten Häuser herumhüpfen, betrachten von oben Marktplätze, Kreuzungen und frisch gefegte Parkwege. Wenn sie noch etwas höher steigen, sehen sie kilometerlange, sich kreuzende Straßen, die immer zu zweit auftreten und jeweils ein ganzes Stadtgebiet durchstreichen wie den fehlerhaften Entwurf eines Zeichners.
    Es gibt überall Geplärr und Gedröhne, braunen Verkehrslärm, das Plätschern von Stimmen, während die Glocken in den Kirchtürmen reglos da hängen, von allen Geistern verlassen. Im Innenhof eines Gefängnisses oder einer Kaserne steht eine Gruppe von Menschen beim Morgenappell. Ihre geschorenen Köpfe sehen aus der Ferne alle gleich aus und sie bewegen sich kaum, nicht mehr als die bunten Ballone in einer Jahrmarktschießbude, wenn der Wind sie an ihren Nägeln zittern lässt, Sekunden bevor die Dartpfeile auf sie niederregnen.
    Der Himmel ist an diesem prächtigen Frühherbstmorgen ein riesiges Mikroskop, durch das ein ungläubiges Auge herabglotzt, voller Erstaunen darüber, dass sich das Ganze da unten immer noch bewegt und vermischt und organisiert und ständig komplizierter wird, anstatt sich einfach aufzulösen wie die zarte Struktur eines Salzkristalls in

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